29.09.2020, 23:52
Das war bisher bei allen Richtern die ich kenne so. Nach ein paar Monaten pendelt es sich ein, der Rückstau ist weg oder du bist am AG oder woanders. Und dann wird es deutlich entspannter
30.09.2020, 05:19
(29.09.2020, 19:25)Verzweifelt schrieb: Es ist unbefriedigend sich zu fragen wie man Sachen am besten los wird weil die Akte schon 10 Jahre darum liegt und man sich nicht zutraut die Sache entscheiden zu können.
Alter, hol die Parteien und mach einen Vergleichsvorschlag. Wenn sie ablehnen, dann entscheide durch, so gut es geht. Alles ist besser als weiter zögern. Wie wirkt das denn bitte? Was glaubst du denken die Anwälte und Parteien und alle ihre Verwandten und Freunde über die deutsche Justiz, das Gericht und den Rechtsstaat?
Zur Not richtet das OLG dein Urteil
30.09.2020, 08:45
Dieser Thread kommt mir fast schicksalhaft vor. Ich bin ebenfalls seit 5 Monaten Proberichter in einer Zivilkammer und mir geht es ganz genauso. Schwanke auch zwischen einem Ende der Tätigkeit dort und der Hoffnung auf das Amtsgericht in einem halben Jahr.
Leider kann ich Dir keine Tipps geben, weil ich mich selbst nicht entscheiden kann. Ich kann nur sagen, dass ich die Situation absolut nachvollziehen kann.
Leider kann ich Dir keine Tipps geben, weil ich mich selbst nicht entscheiden kann. Ich kann nur sagen, dass ich die Situation absolut nachvollziehen kann.
30.09.2020, 08:53
(30.09.2020, 05:19)guga schrieb:(29.09.2020, 19:25)Verzweifelt schrieb: Es ist unbefriedigend sich zu fragen wie man Sachen am besten los wird weil die Akte schon 10 Jahre darum liegt und man sich nicht zutraut die Sache entscheiden zu können.
Alter, hol die Parteien und mach einen Vergleichsvorschlag. Wenn sie ablehnen, dann entscheide durch, so gut es geht. Alles ist besser als weiter zögern. Wie wirkt das denn bitte? Was glaubst du denken die Anwälte und Parteien und alle ihre Verwandten und Freunde über die deutsche Justiz, das Gericht und den Rechtsstaat?
Zur Not richtet das OLG dein Urteil
Ich bin nicht OP, sondern #13. Da ist was dran, aber das löst nicht pauschal alle Probleme.
Du musst Dich trotzdem vernünftig in die Akten für die kommende Sitzungswoche einlesen. Und dann machst Du in Einzelrichtersachen selbst bei bester Vergleichskunst statistisch ein Urteil / Woche, wofür Du mindestens einen Tag brauchst. Dann machst Du 2 - 3 Voten / Woche, wofür Du ebenfalls je einen halben bis einen Tag brauchst. Dann kommt das tägliche Dezernat. Schließlich musst Du Dich auch in die Akten einlesen, die nicht nächste Woche anstehen, weil Du schlecht Termine bestimmen kann, wenn Du nicht weißt, ob Du Zeugen / SV benennen musst und dazu musst Du wissen, was überhaupt erheblich ist.
Natürlich sind nicht alle Akten schlimm. Manche sind dünn und easy. Andere sind aus 2014 und es kostet richtig Kraft, zu verstehen, was dort jahrelang gemacht wurde und wie es jetzt weitergehen sollte.
30.09.2020, 09:36
Ich war auch Proberichterin, bin dann aber in die Anwaltschaft gewechselt. Ich bekam zwar insgesamt positives Feedback, allerdings waren meine Arbeitszeiten wie von dir geschildert bei regelmäßig 60h+ in der Woche. Durch meinen neuen Job bin ich meist rund 45h in der Woche beschäftigt, mache wochenends fast nie etwas, verdiene sogar etwas besser und fühle mich einfach besser. In den 45h in der Woche arbeite ich wirklich an Lösungen, die nicht auf bloßes "Wegschaffen" (im Sinne von Erledigen) hinauslaufen. Der Schritt weg vom Richteramt ist nicht leicht, weil man Bedenken bezüglich Sicherheit, Vorsorge usw. hat. Wenn man es sich vorher vernünftig durchrechnet, einen guten Arbeitgeber ausgemacht hat und bei diesem einsteigen kann, lösen sich die Bedenken aber in Luft auf. Ich fühle mich erst seit ich Anwältin bin so richtig im Berufsleben "angekommen". Davor fühlte sich der Richterdienst wie eine ewig weiterlaufende Berufsvorbereitung an, obwohl ich ja quasi genau die gleichen Sachen wie meine Kollegen gemacht habe, d.h. eigentlich keine (gefühlte) "Vorbereitung" in diesem Sinne mehr hätte haben dürfen.
Insgesamt bleibt mir nur zu sagen: Kopf hoch und dem Herzen folgen. Das Richteramt hat klare Vorteile, aber die findet man auch woanders (bei mir sogar besser). Ich kann endlich wieder richtig "atmen", meine Freizeit genießen und fühle mich mit meiner Tätigkeit gut. Fühle in dich rein und frage dich, ob das, was du tust, wirklich das ist, was du möchtest. Falls nein, kann ich dich nur ermuntern, dich anderweitig umzuschauen. Ich bereue nichts und kann es nur empfehlen!
Dir alles Gute! :)
Insgesamt bleibt mir nur zu sagen: Kopf hoch und dem Herzen folgen. Das Richteramt hat klare Vorteile, aber die findet man auch woanders (bei mir sogar besser). Ich kann endlich wieder richtig "atmen", meine Freizeit genießen und fühle mich mit meiner Tätigkeit gut. Fühle in dich rein und frage dich, ob das, was du tust, wirklich das ist, was du möchtest. Falls nein, kann ich dich nur ermuntern, dich anderweitig umzuschauen. Ich bereue nichts und kann es nur empfehlen!
Dir alles Gute! :)
30.09.2020, 19:44
Die Frage ist, wie lange muss man durchhalten, bis es besser wird? Klar, dass es im ersten halben Jahr extrem anstrengend ist. Vielleicht das gesamte erste Jahr. Aber man lernt doch ständig dazu und es muss doch zwangsläufig einfacher werden?
An den OP: Hast du nette Kollegen, bei denen du dir guten Rat holen kannst und machst du das auch? Was ist mit den Akten, die du nicht "nur wegschaffen" willst? Macht dir denn ein Teil deiner Arbeit Spaß?
An den OP: Hast du nette Kollegen, bei denen du dir guten Rat holen kannst und machst du das auch? Was ist mit den Akten, die du nicht "nur wegschaffen" willst? Macht dir denn ein Teil deiner Arbeit Spaß?
30.09.2020, 19:54
(30.09.2020, 09:36)Gast schrieb: Ich war auch Proberichterin, bin dann aber in die Anwaltschaft gewechselt. Ich bekam zwar insgesamt positives Feedback, allerdings waren meine Arbeitszeiten wie von dir geschildert bei regelmäßig 60h+ in der Woche. Durch meinen neuen Job bin ich meist rund 45h in der Woche beschäftigt, mache wochenends fast nie etwas, verdiene sogar etwas besser und fühle mich einfach besser. In den 45h in der Woche arbeite ich wirklich an Lösungen, die nicht auf bloßes "Wegschaffen" (im Sinne von Erledigen) hinauslaufen. Der Schritt weg vom Richteramt ist nicht leicht, weil man Bedenken bezüglich Sicherheit, Vorsorge usw. hat. Wenn man es sich vorher vernünftig durchrechnet, einen guten Arbeitgeber ausgemacht hat und bei diesem einsteigen kann, lösen sich die Bedenken aber in Luft auf. Ich fühle mich erst seit ich Anwältin bin so richtig im Berufsleben "angekommen". Davor fühlte sich der Richterdienst wie eine ewig weiterlaufende Berufsvorbereitung an, obwohl ich ja quasi genau die gleichen Sachen wie meine Kollegen gemacht habe, d.h. eigentlich keine (gefühlte) "Vorbereitung" in diesem Sinne mehr hätte haben dürfen.
Insgesamt bleibt mir nur zu sagen: Kopf hoch und dem Herzen folgen. Das Richteramt hat klare Vorteile, aber die findet man auch woanders (bei mir sogar besser). Ich kann endlich wieder richtig "atmen", meine Freizeit genießen und fühle mich mit meiner Tätigkeit gut. Fühle in dich rein und frage dich, ob das, was du tust, wirklich das ist, was du möchtest. Falls nein, kann ich dich nur ermuntern, dich anderweitig umzuschauen. Ich bereue nichts und kann es nur empfehlen!
Dir alles Gute! :)
Interessanter Beitrag, danke! Ich bin ebenfalls gegangen, weil mich der nie endende Berg an Akten erdrückt hat. Deine Empfindung, nun "wieder atmen zu können" kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.
30.09.2020, 20:18
Ich finde es erstaunlich, dass es hier offenbar doch so viele gibt, denen es ähnlich ergeht.
Auch ich bin seit wenigen Monaten Proberichter in einer Zivilkammer. Zuvor war ich bereits 1,5 Jahre in anderer Verwendung tätig. Aber nunmehr in der Zivilkammer habe ich das Gefühl, den Akten nicht mehr Herr zu werden. Ich hangel mich gefühlt nur von Woche zu Woche, schreibe wöchentlich meine 2 -3 Voten, die schon einen Großteil der Arbeitszeit einnehmen; allein das gewissenhafte Lesen der Akten frisst schon sehr viel Zeit. Hinzukommt die Vorbereitung der Einzelrichtersitzungen, die tägliche Dezernatsarbeit und irgendwann muss ich noch Zeit für das Schreiben von Urteilen finden. Ich habe nunmehr auch den typischen "Fensterbank-Aktenstapel", wobei ich gar nicht ernsthaft dazu komme, hiervon Akten abzuarbeiten. Zudem habe nicht das Gefühl, wirklich Zeit zu finden, in Ruhe eine Akte vorzubereiten - es fühlt sich gewissermaßen wie Fließbandarbeit an.
Tatsächlich erreiche ich zwar nicht an die hier benannten Stundenzahlen, aber mit 40 Stunden komme ich auch nicht aus. Im Übrigen der Sold ist auch nicht so üppig bemessen, dass man damit problemlos 50-Stundenwochen als abgegolten ansehen könnte.
Insofern spiele ich auch ernsthaft mit dem Gedanken, auf kurz oder lang wieder Anwalt zu werden. Da kann ich mir dann zumindest das passende Rechtsgebiet aussuchen. Außerdem fehlen mir - wie ich inzwischen gemerkt habe - offenbar auch schlicht und ergreifend die gestalterischen Aspekte und die Vielseitigkeit von Möglichkeiten, die man als Rechtsanwalt hat.
Auch ich bin seit wenigen Monaten Proberichter in einer Zivilkammer. Zuvor war ich bereits 1,5 Jahre in anderer Verwendung tätig. Aber nunmehr in der Zivilkammer habe ich das Gefühl, den Akten nicht mehr Herr zu werden. Ich hangel mich gefühlt nur von Woche zu Woche, schreibe wöchentlich meine 2 -3 Voten, die schon einen Großteil der Arbeitszeit einnehmen; allein das gewissenhafte Lesen der Akten frisst schon sehr viel Zeit. Hinzukommt die Vorbereitung der Einzelrichtersitzungen, die tägliche Dezernatsarbeit und irgendwann muss ich noch Zeit für das Schreiben von Urteilen finden. Ich habe nunmehr auch den typischen "Fensterbank-Aktenstapel", wobei ich gar nicht ernsthaft dazu komme, hiervon Akten abzuarbeiten. Zudem habe nicht das Gefühl, wirklich Zeit zu finden, in Ruhe eine Akte vorzubereiten - es fühlt sich gewissermaßen wie Fließbandarbeit an.
Tatsächlich erreiche ich zwar nicht an die hier benannten Stundenzahlen, aber mit 40 Stunden komme ich auch nicht aus. Im Übrigen der Sold ist auch nicht so üppig bemessen, dass man damit problemlos 50-Stundenwochen als abgegolten ansehen könnte.
Insofern spiele ich auch ernsthaft mit dem Gedanken, auf kurz oder lang wieder Anwalt zu werden. Da kann ich mir dann zumindest das passende Rechtsgebiet aussuchen. Außerdem fehlen mir - wie ich inzwischen gemerkt habe - offenbar auch schlicht und ergreifend die gestalterischen Aspekte und die Vielseitigkeit von Möglichkeiten, die man als Rechtsanwalt hat.
30.09.2020, 20:59
Das ist völlig normal. Ich sitze bei der StA und ganz ehrlich: es geht schon, aber nur wenn man etwas Qualität einspart und hin und wieder Entscheidungen trifft, die einfach an der Grenze sind und die man nicht getroffen hätte, wenn man einfach nur mal mehr Leute einstellen würde. Die Justiz arbeitet bundesweit für die Anliegen von 80 Mio. Die gleiche Anzahl an Leuten hat das damals für 50-60 Mio geregelt.
30.09.2020, 21:21
Schwerpunktsetzung und Entscheidungsfreude helfen. Ein Urteil runterschreiben, einmal korrekturlesen, unterschreiben und dann erst wieder zum VT mitnehmen. Es kostet sehr viel Zeit, das perfekte Urteil zu schreiben. Der Anspruch eines Richters in der Tatsacheninstanz sollte es aber sein, ein Urteil zu schreiben, das die im Einzelfall aufgeworfene Rechtsfragen der Parteien beantwortet.
Außerdem fehlt vielen Richtern der Mut, einfach mal Nein zu sagen. Schriftsatznachlass? Nein! Terminsverlegung? Nein! Weiterer Beweis? Nein! Selbstverständlich nur im Rahmen des Prozessrechts. Wer aber auf jede Finte der Anwälte reinfällt und den Anspruch hat, das juristische Rad neu zu erfinden, wird mit den Akten nicht klarkommen.
Ein weiteres Problem ist, dass viele vermeintlich "zeitbringenden" Lösungen tatsächlich die Arbeit nur erschweren. In der Vielzahl von Verfahren am Landgericht braucht man nicht mehr als drei Schriftsätze. Also nicht den zehnten Schriftsatz rumschicken mit einer Stellungnahmefrist von vier Wochen. Nach der Replik wird terminiert bzw. beim frühen ersten Termin die erforderlichen Zeugen geladen. Ein SV-Gutachten wird sowieso lange brauchen, also kann man auch gleich vorher terminieren und vielleicht einen Vergleich rausholen.
In Deutschland gibt es genug Richter, die völlig unvorbereitet in Sitzungen gehen und Urteile schreiben. Das sollte nicht der Anspruch sein, zeigt aber dennoch auf, dass man mit sich selbst als Proberichter (in der Regel) zufrieden sein kann.
Außerdem fehlt vielen Richtern der Mut, einfach mal Nein zu sagen. Schriftsatznachlass? Nein! Terminsverlegung? Nein! Weiterer Beweis? Nein! Selbstverständlich nur im Rahmen des Prozessrechts. Wer aber auf jede Finte der Anwälte reinfällt und den Anspruch hat, das juristische Rad neu zu erfinden, wird mit den Akten nicht klarkommen.
Ein weiteres Problem ist, dass viele vermeintlich "zeitbringenden" Lösungen tatsächlich die Arbeit nur erschweren. In der Vielzahl von Verfahren am Landgericht braucht man nicht mehr als drei Schriftsätze. Also nicht den zehnten Schriftsatz rumschicken mit einer Stellungnahmefrist von vier Wochen. Nach der Replik wird terminiert bzw. beim frühen ersten Termin die erforderlichen Zeugen geladen. Ein SV-Gutachten wird sowieso lange brauchen, also kann man auch gleich vorher terminieren und vielleicht einen Vergleich rausholen.
In Deutschland gibt es genug Richter, die völlig unvorbereitet in Sitzungen gehen und Urteile schreiben. Das sollte nicht der Anspruch sein, zeigt aber dennoch auf, dass man mit sich selbst als Proberichter (in der Regel) zufrieden sein kann.