16.02.2024, 08:51
Hallo zusammen,
ich bin nun seit über einem halben Jahr Anwalt in einer Kanzlei zwischen eher mittelständischen ausgerichteten Großkanzlei.
Und offen gesagt, bin ich über die Art und Weise und auch in gewisser Form über die Qualität der Arbeitsweise und des juristischen Outputs verwundert.
Ich möchte meinen Kollegen gar nicht ihre juristische Kompetenz absprechen, aber einige Kolleginnen und Kolegen sind schon ziemlich planlos unterwegs.
Ich habe zunehmend das Gefühl, dass ein selbstsicheres Auftreten bei kompletter Ahnungslosigkeit dort (oder allgemein?) wichtiger ist als eine saubere juristische Lösung für den Mandanten.
Schriftsätze werden trotz rechtlicher Unsicherheiten und offensichtlich falscher Anspruchsgrundlagen oder intern bestehender Unklarheiten einfach rausgeballert.
Ist das normal? Ich werde mit dieser Arbeitsweise überhaupt nicht warm und habe da zunehmend ein Problem mit.
Mir ist klar, dass wir nicht mehr an der Uni sind und es keine sauber zu lösenden Sachverhalte in der Praxis gibt, aber trotzdem ist mein eigener Anspruch an meine Arbeit einfach ein anderer.
Wie ist eure Erfahrung in der täglichen Arbeitspraxis? Wäre um euren Input sehr dankbar.
ich bin nun seit über einem halben Jahr Anwalt in einer Kanzlei zwischen eher mittelständischen ausgerichteten Großkanzlei.
Und offen gesagt, bin ich über die Art und Weise und auch in gewisser Form über die Qualität der Arbeitsweise und des juristischen Outputs verwundert.
Ich möchte meinen Kollegen gar nicht ihre juristische Kompetenz absprechen, aber einige Kolleginnen und Kolegen sind schon ziemlich planlos unterwegs.
Ich habe zunehmend das Gefühl, dass ein selbstsicheres Auftreten bei kompletter Ahnungslosigkeit dort (oder allgemein?) wichtiger ist als eine saubere juristische Lösung für den Mandanten.
Schriftsätze werden trotz rechtlicher Unsicherheiten und offensichtlich falscher Anspruchsgrundlagen oder intern bestehender Unklarheiten einfach rausgeballert.
Ist das normal? Ich werde mit dieser Arbeitsweise überhaupt nicht warm und habe da zunehmend ein Problem mit.
Mir ist klar, dass wir nicht mehr an der Uni sind und es keine sauber zu lösenden Sachverhalte in der Praxis gibt, aber trotzdem ist mein eigener Anspruch an meine Arbeit einfach ein anderer.
Wie ist eure Erfahrung in der täglichen Arbeitspraxis? Wäre um euren Input sehr dankbar.
16.02.2024, 10:28
Kanzleien sind Wirtschaftsunternehmen. Wenn man sich das Mal näher anschaut bekommt man für ein streitig entschiedenes gerichtliches Verfahren in erster Instanz bei einem SW von 5.000 Euro gerade einmal 850 Euro. Bei einem anzuvisierenden Stundenlohn von 200 Euro hast du also 4 Stunden für die Bearbeitung bis zum streitigen Verfahren - incl. Mandantengesprächen, Fertigen des Schriftsätze und Wahrnehmung des Termins oder der Termine. Bei einem SW von 50.000 Euro beträgt das Honorar 3.200 Euro, was immerhin 15 Arbeit erlauben würde, bei einem SW 500.000 Euro sogar 8.000 Euro und 40 Stunden.
Aber klar ist, dass man bei kleinen Streitwerten auf RVG-Basis verdammt schnell sein muss, um im Plus zu bleiben. Dafür ist das Haftungsrisiko gering und man kann - aus wirtschaftlicher Sicht - auch einfach einmal Schriftsätze rausballern, die nicht 100%-ig passen.
Und die Anspruchsgrundlagen richten sich ebenfalls nach dem Mandanteninteresse - so werde ich als Beklagtenvertreter den Teufel tun und 906 oder 836 erwähnen, wenn der Kläger 823 sagt...
Aber klar ist, dass man bei kleinen Streitwerten auf RVG-Basis verdammt schnell sein muss, um im Plus zu bleiben. Dafür ist das Haftungsrisiko gering und man kann - aus wirtschaftlicher Sicht - auch einfach einmal Schriftsätze rausballern, die nicht 100%-ig passen.
Und die Anspruchsgrundlagen richten sich ebenfalls nach dem Mandanteninteresse - so werde ich als Beklagtenvertreter den Teufel tun und 906 oder 836 erwähnen, wenn der Kläger 823 sagt...
16.02.2024, 11:35
Ich denke es kommt natürlich auf die Höhe des Streitwertes und die Wichtigkeit des Mandates/Falles für die jeweilige Sozietät an. Ich musste einmal eine Replik verfassen, wobei die PB des Beklagten wirklich namenhafte Mittelständler waren. Es ging um Mängelgewährleistungsrechte und Unternehmerregress. Was da von denen im Schriftsatz prozessual und materiell erwidert wurde, war wirklich sehr medioker. Der Streitwert lag knapp unter 50k.
Andererseits kann der Grund auch im Verhalten des Mandanten selbst liegen. Wenn der Mandant verspätet um Rechtsrat fragt bzw nur unvollständige Unterlagen zusenden kann o.ä.... dann muss man sich u.U. etwas aus den Fingern saugen, um zumindest mit Pseudoargumenten evtl zu einem nicht völlig desaströsen Vergleich zu kommen.
Andererseits kann der Grund auch im Verhalten des Mandanten selbst liegen. Wenn der Mandant verspätet um Rechtsrat fragt bzw nur unvollständige Unterlagen zusenden kann o.ä.... dann muss man sich u.U. etwas aus den Fingern saugen, um zumindest mit Pseudoargumenten evtl zu einem nicht völlig desaströsen Vergleich zu kommen.
17.02.2024, 14:31
Ich bin auch in einer GK und kann das für unser Team überhaupt nicht bestätigen. Jedes Wort ist durchdacht & dass irgendwas rausgeballert wird, kommt nicht vor. Bei uns geht das eher umgekehrt so weit, dass mir das manchmal etwas zu viel ist. In anderen Teams habe ich aber auch schon ein Stück weit andere Beobachtungen gemacht.
17.02.2024, 16:00
Wie hier schon gesagt wurde, unterscheiden sich die Arbeitsweisen in GK und MK/KK deutlich. Wenn nach RVG abgerechnet wird, ist der Gewinn aus einem Mandat sehr limitiert und man kann nur dann wirtschaftlich arbeiten, wenn man sehr schnell ist.
In der MK rechnet man zwar in der Regel nicht nach RVG ab, aber die Mandanten sind meist Firmen aus dem Mittelstand, die auf das Geld schauen. Auch hier ist die Zeit dadurch limitiert, dass du wirtschaftlich arbeiten musst, da der Mandant nicht bereit ist, horrende Summen zu zahlen.
In der GK sieht das anders aus. Der Stundensatz ist höher und den Mandanten ist bewusst, dass es die Leistung in der GK nicht für kleines Geld gibt. Dementsprechend ist auch mehr Zeit, sich um kleinere Dinge zu kümmern und jeden Satz dreimal zu überarbeiten.
Und ja, in der KK habe ich sehr oft(!) Mandanten gehabt, die unvollständige Unterlagen oder Informationen eingereicht haben. Dann fragst du ein paar Mal nach, aber wenn das nichts kommt, muss es dir egal sein, denn dafür, dass du den Mandanten 10x erinnerst und Terminverlegung beantragst, kommt noch lange kein Geld rein. Du willst das Verfahren beenden und somit wird manchmal auch ein Schriftsatz rausgeschickt, von dem du weißt, dass der Anspruch wackelig oder nur schlecht begründet ist.
Mittlerweile arbeite ich im Unternehmen und wenn ich 10 Sachen gleichzeitig auf dem Tisch habe und die 11. Sache kommt rein und es wird heute oder morgen eine Antwort erwartet, muss ich schauen, dass ich das, was ebenfalls wichtig ist, noch bearbeitete und mit der verbleibenden Zeit in der 11. Sache etwas vernünftiges zu Stande bringe. Ja, das ist dann manchmal nur zu 95% durchdacht und die letzten 5% scheitern an der mangelnden Zeit. Wenn ich der Meinung bin, hier entsteht kein Risiko, dann kann ich damit leben, ansonsten muss ich schauen, dass ich auch die 5% irgendwie nach meinen Anspruch, ein sicheres Ergebnis abzuliefern, noch hinbekomme.
In der MK rechnet man zwar in der Regel nicht nach RVG ab, aber die Mandanten sind meist Firmen aus dem Mittelstand, die auf das Geld schauen. Auch hier ist die Zeit dadurch limitiert, dass du wirtschaftlich arbeiten musst, da der Mandant nicht bereit ist, horrende Summen zu zahlen.
In der GK sieht das anders aus. Der Stundensatz ist höher und den Mandanten ist bewusst, dass es die Leistung in der GK nicht für kleines Geld gibt. Dementsprechend ist auch mehr Zeit, sich um kleinere Dinge zu kümmern und jeden Satz dreimal zu überarbeiten.
Und ja, in der KK habe ich sehr oft(!) Mandanten gehabt, die unvollständige Unterlagen oder Informationen eingereicht haben. Dann fragst du ein paar Mal nach, aber wenn das nichts kommt, muss es dir egal sein, denn dafür, dass du den Mandanten 10x erinnerst und Terminverlegung beantragst, kommt noch lange kein Geld rein. Du willst das Verfahren beenden und somit wird manchmal auch ein Schriftsatz rausgeschickt, von dem du weißt, dass der Anspruch wackelig oder nur schlecht begründet ist.
Mittlerweile arbeite ich im Unternehmen und wenn ich 10 Sachen gleichzeitig auf dem Tisch habe und die 11. Sache kommt rein und es wird heute oder morgen eine Antwort erwartet, muss ich schauen, dass ich das, was ebenfalls wichtig ist, noch bearbeitete und mit der verbleibenden Zeit in der 11. Sache etwas vernünftiges zu Stande bringe. Ja, das ist dann manchmal nur zu 95% durchdacht und die letzten 5% scheitern an der mangelnden Zeit. Wenn ich der Meinung bin, hier entsteht kein Risiko, dann kann ich damit leben, ansonsten muss ich schauen, dass ich auch die 5% irgendwie nach meinen Anspruch, ein sicheres Ergebnis abzuliefern, noch hinbekomme.
19.02.2024, 09:17
Danke für euren Input. Aber wie gesagt, ich arbeite in einer großen Kanzlei mit nicht sehr geringen Stundensätzen, daher bin ich auch so verwundert. Mir ist schon klar, dass es bei RVG-Mandaten anders ist.
Mich stört diese Arbeitsweise extrem, zumal ich mit dem Anspruch an eine gute Ausbildung zu dieser Kanzlei gegangen bin. Ich bin auch fein damit, dass es keine 100% Lösungen gibt, aber selbst 80-90% Lösungen werden aus meiner Sicht nicht erreicht. Auch auf fachliche Rückfragen beim Vorgesetzten wird nicht eingegangen bzw. es wird auf offenkundige Probleme einfach keine Lösung gefunden.
Aber gegebenenfalls werde ich mich dann mal nach einer anderen Kanzlei umschauen.
Mich stört diese Arbeitsweise extrem, zumal ich mit dem Anspruch an eine gute Ausbildung zu dieser Kanzlei gegangen bin. Ich bin auch fein damit, dass es keine 100% Lösungen gibt, aber selbst 80-90% Lösungen werden aus meiner Sicht nicht erreicht. Auch auf fachliche Rückfragen beim Vorgesetzten wird nicht eingegangen bzw. es wird auf offenkundige Probleme einfach keine Lösung gefunden.
Aber gegebenenfalls werde ich mich dann mal nach einer anderen Kanzlei umschauen.
19.02.2024, 09:58
Das klingt erstmal nicht gut, wie dort gearbeitet wird. Allerdings ist die Praxis oft auch anders als die Theorie. Ich wunderte mich auch als junger Anwalt, zum Beispiel, dass z.T. Klagen / Widerklagen erhoben wurden, bei denen man wusste, dass sie nicht / schwer begründbar waren. Das passierte aber nicht aus Unwissen sondern als Strategie. Zu 90 Prozent vergleicht man sich am Ende und da ist man dann in einer bessren Ausgangslage wenn man einfach mal eine überhöhte Klage / Widerklage rausgehauen hat.
19.02.2024, 10:13
(19.02.2024, 09:58)ALTER MANN schrieb: Das klingt erstmal nicht gut, wie dort gearbeitet wird. Allerdings ist die Praxis oft auch anders als die Theorie. Ich wunderte mich auch als junger Anwalt, zum Beispiel, dass z.T. Klagen / Widerklagen erhoben wurden, bei denen man wusste, dass sie nicht / schwer begründbar waren. Das passierte aber nicht aus Unwissen sondern als Strategie. Zu 90 Prozent vergleicht man sich am Ende und da ist man dann in einer bessren Ausgangslage wenn man einfach mal eine überhöhte Klage / Widerklage rausgehauen hat.
Das kann durchaus sein. Mir ist allerdings im Rahmen eines relativ umfangreichen Baurechtsprozesses vorgekommen, dass der Richter den gegenerischen PB (gute Kanzlei, Dr. usw) im Rahmen der ersten m.V. "erklären" musste, wie und wann genau Hilfswiderklage erhoben werden kann und wie das im Verbund mit Hilfsaufrechnung usw ist. Zumindest ging das nicht klar aus seinen Anträgen hervor bzw war die gewählte Antragsformulierung mehrdeutig/ungenau. Zuzugestehen ist, das es sich um einen sehr umfangreichen Fall handelte, in dem mehren Bauunternehmer, Subunternehmer, Architekten usw involviert waren und viele verschiedene Schadensposten geltend gemacht und Gutachten beauftragt wurden...aber trotzdem. Das passiert auch guten und erfahrenen RAen...
19.02.2024, 11:15
(19.02.2024, 10:13)nachdenklich schrieb:(19.02.2024, 09:58)ALTER MANN schrieb: Das klingt erstmal nicht gut, wie dort gearbeitet wird. Allerdings ist die Praxis oft auch anders als die Theorie. Ich wunderte mich auch als junger Anwalt, zum Beispiel, dass z.T. Klagen / Widerklagen erhoben wurden, bei denen man wusste, dass sie nicht / schwer begründbar waren. Das passierte aber nicht aus Unwissen sondern als Strategie. Zu 90 Prozent vergleicht man sich am Ende und da ist man dann in einer bessren Ausgangslage wenn man einfach mal eine überhöhte Klage / Widerklage rausgehauen hat.
Das kann durchaus sein. Mir ist allerdings im Rahmen eines relativ umfangreichen Baurechtsprozesses vorgekommen, dass der Richter den gegenerischen PB (gute Kanzlei, Dr. usw) im Rahmen der ersten m.V. "erklären" musste, wie und wann genau Hilfswiderklage erhoben werden kann und wie das im Verbund mit Hilfsaufrechnung usw ist. Zumindest ging das nicht klar aus seinen Anträgen hervor bzw um die gewählte Antragsformulierung. Zuzugestehen ist, das es sich um einen sehr umfangreicher Fall handelte, in dem mehren Bauunternehmer, Subunternehmer, Architekten usw involviert waren und viele verschiedene Schadensposten geltend gemacht und Gutachten beauftragt wurden...aber trotzdem. Das passiert auch guten und erfahrenen RAen...
Wenn Zeitdruck herrscht, ist so ein Vorgehen im Zweifel ja sogar sinnvoll. Die Anträge kann ich in der mündlichen Verhandlung ja notfalls nochmal umstellen. Der Sachvortrag muss hingegen stehen. Also Fokus darauf, vom Mandanten alle Infos zu bekommen und vorzutragen; Rechtliche Würdigung und Anträge kann man im Nachhinein noch nachschärfen.
19.02.2024, 11:27
(19.02.2024, 10:13)nachdenklich schrieb:(19.02.2024, 09:58)ALTER MANN schrieb: Das klingt erstmal nicht gut, wie dort gearbeitet wird. Allerdings ist die Praxis oft auch anders als die Theorie. Ich wunderte mich auch als junger Anwalt, zum Beispiel, dass z.T. Klagen / Widerklagen erhoben wurden, bei denen man wusste, dass sie nicht / schwer begründbar waren. Das passierte aber nicht aus Unwissen sondern als Strategie. Zu 90 Prozent vergleicht man sich am Ende und da ist man dann in einer bessren Ausgangslage wenn man einfach mal eine überhöhte Klage / Widerklage rausgehauen hat.
Das kann durchaus sein. Mir ist allerdings im Rahmen eines relativ umfangreichen Baurechtsprozesses vorgekommen, dass der Richter den gegenerischen PB (gute Kanzlei, Dr. usw) im Rahmen der ersten m.V. "erklären" musste, wie und wann genau Hilfswiderklage erhoben werden kann und wie das im Verbund mit Hilfsaufrechnung usw ist. Zumindest ging das nicht klar aus seinen Anträgen hervor bzw um die gewählte Antragsformulierung. Zuzugestehen ist, das es sich um einen sehr umfangreicher Fall handelte, in dem mehren Bauunternehmer, Subunternehmer, Architekten usw involviert waren und viele verschiedene Schadensposten geltend gemacht und Gutachten beauftragt wurden...aber trotzdem. Das passiert auch guten und erfahrenen RAen...
Ist natürlich nicht toll, lässt sich aber so erklären, dass die Spezialfälle des prozessualen Rechts umso schwieriger werden, je weiter man vom 2. Staatsexamen entfernt ist. Im Referendariat lernt man das alles haargenau und der Richter ist aufgrund seiner Arbeit auch direkt dran.
Als Anwalt hast du es meist mit Standardanträgen zu tun und weniger mit den Sonderfällen. Ich habe mir deswegen damals zum Berufseinstieg ein Formularhandbuch gekauft, dass für alle Rechtsgebiete inkl. ZPO die wichtigsten Formulare und Anträge enthält. Solche Bücher kann ich jedem hier wärmstens empfehlen, der viel vor Gericht unterwegs ist. Viele Dinge macht man nicht täglich und somit geraten sie in Vergessenheit (wobei zugegeben, der Hilfsantrag noch kein so besonderer Spezialfall ist).