02.08.2022, 20:57
(27.07.2022, 23:14)FRAMPL schrieb: Hey Leute,
Ich hatte während dem Referendariat leider erstmalig mit einigen schweren depressiven Episoden zu kämpfen. Zunächst zu Beginn der ersten Station, wodurch ich die ersten Monate fast nur im Bett lag, auch die Online Corona-AG nur im Bett verfolgte und mit viel Panik und Kraft die eine Akte die Woche durcharbeiten konnte. Die ersten 8-9 Monate habe ich kaum gelernt und nur das Nötigste getan. Konnte dann mit Medikamenten die Depression viele Monate in Griff bekommen, aber sie kamen jetzt auf der Zielgerade wieder. Konnte durch ein ärztliches Attest glücklicherweise die Anwaltsstation verlängern, wodurch ich auch 2 Monate mehr Lernzeit erhalten habe.
Nun, meine Konzentration ist trotzdem sehr schwach und bin noch nicht besonders aufnahmefähig, aber ich schaffe es jeden Tag in die Bib. Ich erhoffe mir ein paar Tipps wie ich in 3 Monaten möglichst examensfit werde. Ich habe es geschafft immerhin 20-25 Klausuren zu schreiben mit den AG Klausuren, die meisten allerdings in mehr als 5 Std.
Ich möchte weiterhin eine Klausur die Woche schreiben. Im ersten Examen hatte ich im staatlichen Teil 10,66 Punkte. Eigentlich hatte ich auch lange viel Freude an Jura und nun hoffe ich erstmal überhaupt das Examen zu bestehen.
Das materielle Recht habe ich bisher gar nicht wiederholt bzw. nur in den Fällen, die ich durchgearbeitet habe.
Hatte nun vor hauptsächlich mit den Kursunterlagen von Jura Intensiv zu arbeiten, die ich alle habe. Kennt jemand die Unterlagen und kann mir sagen, ob diese als Hauptlernquelle einigermaßen geeignet sind?
Und ganz allgemein: Wie würdet ihr vorgehen, wenn ihr nur noch 3 Monate Zeit habt bis zum Examen und eher rudimentäre Kenntnisse im Prozessrecht habt? Es ist nicht so, dass ich überhaupt nichts gelernt habe, aber schon einige Wissenslücken habe. Wie viel Zeit sollte ich noch dem materiellen Recht widmen? Im Studium war ich immer gut dabei und da sind schon noch einige Kenntnisse vorhanden, aber natürlich hat man auch viel vergessen. Und vor allem welche Lernmaterialien würdet ihr empfehlen? Gibt es Themen, die man in Hessen ohne extrem großes Risiko auf Lücke lernen kann, wenn es hart auf hart kommt? Auf welche Themenblöcke sollte man ganz besonders großen Wert legen?
Ich wäre über einige Tipps echt dankbar, da ich echt etwas Panik schiebe.
Liebe/r TE,
ich kann dich und all deine Gedanken so gut verstehen, da ich vor ca. 1-1,5 Jahren exakt dasselbe durchgemacht habe. An irgendeine Art von Lernen, geschweige denn Klausurenschreiben, parallel zur Stationsarbeit war auch in meinem Fall absolut nicht zu denken.
Ich habe seinerzeit zum Abschluss meiner Anwaltsstation alle möglichen Optionen hinsichtlich Krankschreibung mit meinem Therapeuten besprochen, weil ich mich zu dem Zeitpunkt auch kaum bis wenig zum Lernen in der Lage gefühlt habe. Parallel hierzu habe ich anonym den Personalrat unseres OLG mit einbezogen und sie befragt zu ihren Erfahrungen mit (u.U. auch längerer) Krankschreibung von Referendaren während der Ausbildung. Über Freunde und Freundesfreunde kam ich dann auch an den einen oder anderen Kontakt zu Personen, die sich aus diversen gesundheitlichen Gründen gegen einen Abschluss ihrer Ausbildung innerhalb der dafür vorgesehenen Zeit entschieden haben. Der Austausch mit ihnen hat mir sehr geholfen und mir gezeigt, dass ich mit meinen Problemen ganz und gar nicht alleine bin. Vor diesem Hintergrund kann ich dir nur raten, es mir gleichzutun...der Austausch mit Gleichgesinnten hilft ungemein, vor allem wenn du noch eine (weitere) Verlängerung des Refs in Erwägung ziehst.
Ich für meinen Teil habe mich letztlich nach langem Hin und Her dafür entschieden, das Examen zum regulären Zeitpunkt zu schreiben. Geholfen hat mir bei der Entscheidung ein gewisses Grundvertrauen in meine juristischen Fähigkeiten (mein 1. Examen war ein VB, wenngleich nicht so gut wie deines). Durch meine Probeklausuren hatte ich zudem die Erfahrung gemacht, dass vieles doch irgendwie machbar ist. Zudem hat man ja als Referendar die Gewissheit, dass man entweder a. sollte man durchfallen, immerhin einen gut organisierten Ergänzungsvorbereitungsdienst erhält, b. bei miserablen Noten ja immer noch eine Notenverbesserung wahrnehmen kann und c. durch eine Krankschreibung auch zu einem späteren Zeitpunkt im allerallerschlimmsten Fall immer noch etwas mehr Lernzeit rausholen kann. Mit dieser Entscheidung bin ich dann in meine knapp 4 Monate Tauchphase gestartet. Produktiv war ich da irgendwie schon...dass man in depressiven Phasen aber himmelweit unter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, brauche ich dir ja sicher nicht erzählen
Nun ja...bestanden habe ich meine Klausuren letztlich, wenngleich denkbar knapp. Die mündliche Prüfung lief dafür gut und hat die Note noch mal ordentlich nach oben gehoben....geschafft habe ich das aber nur mit einer Kombination aus Psychotherapie und Prüfungscoaching, das ich privat gezahlt habe. Den Verbesserungsversuch habe ich kürzlich wahrgenommen und (jedenfalls im schriftlichen Teil) tatsächlich deutlich besser abgeschnitten. Die mündliche Prüfung steht noch aus.
Rückblickend würde ich sagen, dass ich meine Entscheidung ganz und gar nicht bereue. Der Examensdruck ist schon für nicht depressive Menschen enorm...die Gewissheit, schon einmal bestanden zu haben, hat die ganze Situation für mich deutlich erträglicher gemacht. Ob das auch für dich die richtige Entscheidung ist, vermag ich natürlich nicht zu beurteilen. Ich würde dir aber empfehlen, da einfach auf dein Bauchgefühl zu hören. Deine Vorleistung im 1. Examen solltest du jedenfalls nicht unterschätzen. Nicht ausgeschlossen, dass du mit deinem Wissen vielleicht sogar beim ersten Mal Examen schreiben eine ordentliche Note schaffst. Andererseits solltest du dir aber auch bewusst machen, dass deine psychische Gesundheit elementar wichtig ist und es sich u.U. einfach nicht lohnt, auf Biegen und Brechen durchzuziehen. In der Praxis später interessiert niemanden, wann genau du mit dem Ref fertig geworden bist...wenn etwas mehr Zeit sich positiv auf deine Vorbereitung und Psyche auswirkt, dann ist das für dich vllt. die richtigere Entscheidung.
Abschließend würde ich dir raten, dich bei deiner Vorbereitung überwiegend auf Prozessuales und Formalia zu konzentrieren und möglichst viele Klausuren zu schreiben. Ich habe in der Vorbereitung für den Verbesserungsversuch z.T. 3 Stück pro Woche geschrieben und 100x mehr davon profitiert als von irgendeiner zusammenhanglosen Wiederholung materiellen Rechts. Das materielle Recht hat man mit Abschluss des 1. Examens in den Grundzügen schon irgendwie drauf und kann sich in der Klausur überdies einen Großteil mit dem Kommentar erarbeiten. Schlampige Formalia und praktisch wenig brauchbare Lösungsansätze, v.a. in den Anwaltsklausuren, wiegen dafür sehr schwer...so jedenfalls meine Erfahrung.
Ich wünsche dir alles alles Gute!
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3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von FRAMPL - 27.07.2022, 23:14
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von MrJudgeBW - 27.07.2022, 23:31
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von Gast - 28.07.2022, 08:07
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von Gast2807 - 28.07.2022, 10:16
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von FRAMPL - 28.07.2022, 15:26
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von Gast124 - 28.07.2022, 15:54
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von FRAMPL - 28.07.2022, 18:14
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von Gast124 - 03.08.2022, 16:24
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von Laesio enormis - 28.07.2022, 17:48
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von Kennich - 01.08.2022, 22:25
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von FRAMPL - 01.08.2022, 22:43
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von Kennich - 02.08.2022, 21:27
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von FRAMPL - 03.08.2022, 12:24
RE: 3 Monate Crash Examensvorbereitung nach Depressionen - von Refus - 02.08.2022, 20:57