22.01.2023, 17:56
Da es zur Frage des Vorposters passt und ich ungern ein neues Thema eröffnen möchte, sei es hier verortet. Das hier soll kein Bericht werden, sondern mehr eine freie Schilderung meiner Eindrücke von meinem Bewerbungsverfahren. Weil das hier wie ein passender Platz wirkt und die Erfahrungsberichte des Betreibers hinter einer Paywall stecken, für die nicht jeder die entsprechenden finanziellen Ressourcen hat, halte ich diesen Platz hier für den besten.
Vielen Dank fürs Lesen!
Zum Kontext: Ich habe mich mit einem zweiseitigen Anschreiben (im normalen beruflichen Kontext mutig, aber nötig, um ein Narrativ für fast vier Seiten Anforderungen [zumindest in Orientierung an den Eigenschaften eines Idealrichters nach den Anforderungskatalogen anderer Bundesländer sowie der Broschüre zur Richterethik des Deutschen Richterbundes] formen zu können) und einem Schnitt von 10,18 (1. Examen) und 7,2 (Zweites Examen) beworben.
Um schon jetzt Unkenrufen vorzubeugen: Meine Wunschnote wäre eine andere gewesen und hätte das in meinen Augen auch werden können. Ich hatte in der Zeit eine wirklich schwere Phase mit meiner Freundin und lernte dazu weniger Formalia, als gut für mich gewesen wäre; meine finanzielle Situation und meine aus vielen Faktoren entspringende extreme Varianz hindern mich jedoch daran, es ein zweites Mal zu versuchen.
Dennoch habe ich ungefähr zehn Tage nach Absenden der Unterlagen eine Einladung bekommen. 20.01.23, 9 Uhr beim Justizministerium Thüringen – Bewerbungskosten nicht erstattet. Von meiner Heimatstadt aus würde das wegen der Fahrzeiten heißen, ein Hotel nehmen zu müssen. Das dürfte dem Personaler auch bewusst gewesen sein, da er in seinem Ref seiner Aussage nach dieselbe Strecke wie ich fuhr und damit auch mit den Zug-Fahrzeiten zwischen Erfurt und Frankfurt vertraut war. Außerdem erwähnte er auch, dass das nötig sein dürfte. Da ich jedoch seit meinem Studium Richter werden wollte und mir schon klar ist, dass meine Endnote im zweiten Examen von mir wesentlich mehr Flexibilität abverlangen wird, habe ich das auf mich genommen. (Dass es auch anders geht, durfte ich bei meiner Bewerbung für eine andere Stelle in Nürnberg lernen: Dort hat man nicht nur bei der Wahl der Termine auf meine Anreise Rücksicht genommen, sondern auch die Bewerbungskostenerstattung nicht ausgeschlossen.)
Nach einigen Probegängen am Vortag wurde ich auch etwas zu früh dort vorstellig. Das Warten war für mich kein Thema; es war allerdings etwas verunsichernd, dass man mich zwölf Minuten warten ließ, obwohl eigentlich alle schon vor 9 Uhr anwesend waren. Ich habe es als Personaler-Masche verbucht, um einen ein bisschen aus der Reserve zu locken.
Noch vor der Begrüßung erhielt ich eine in abfälligem Ton gestellte Frage, warum ich mit Hut und Frack (Es war ein Mantel, by the way) gekommen sei. Ich war mir nicht sicher, ob ihnen klar war, dass das mehr der Notwendigkeit meines Hotelaufenthalts geschuldet war und der Hut allein für meinen de-facto-Urlaubstag davor gedacht war. Jedenfalls der Personaler, der den Termin anberaumt hatte und ebenfalls anwesend war, dürfte es gewusst haben. Ich habe das positive Feedback meines Umfelds, die Möglichkeit als Eisbrecher und die schönen Begegnungen mit Fremden geschildert, die ich unter Anderem auch am Vortag wieder erleben durfte. Man entgegnete mir ein süffisantes „Ich werd's mir merken.“, im Abgang mit einem Kichern.
Nach der Vorstellung folgte eine Bitte, meinen Weg als Person zu schildern. Im Hinblick darauf, dass es hier um die Voraussetzungen des § 9 Nr. 4 DRiG ging und ich nicht der Meinung bin, meinen Arbeitgebern eine Lebensrechenschaft schuldig zu sein, konzentrierte ich mich vornehmlich auf meine Entwicklung in sozialer Hinsicht.
Mitten im Vortrag riss man mir das Wort ab und hat mir in wenig verhohlener Wut zu verstehen gegeben, dass mir ohne klarere Sprache schon deshalb die fehlende Sozialkompetenz verneint werden würde. Ich mag etwas schnell und manchmal undeutlich sprechen - vor allem in Situationen, wo es um meinen damaligen Traumberuf ging; aber ein simpler Hinweis darauf genügt in aller Regel, um das zu beheben. Weder in anderen Vorstellungsgesprächen noch in meiner Ausbildung (ich habe mehrere Verhandlungen im Ref ohne Nervosität oder Verständnisprobleme führen stets mit positivem Feedback führen dürfen) noch im Sozialdienst noch sonstwo ist man so mit mir herumgesprungen wie in den letzten Minuten.
Mein Tonfall fiel etwas, doch ich kam wieder rein. Meine Erzählung wurde kurz darauf ein zweites Mal durch eine Frage nach meinen anderen Schwächen unterbrochen, nachdem man mit zuvor den Zusammenhang eines gewählten Ereignisses (einer Seminararbeit) in Zweifel zog. Ich schilderte einen gewissen Stolz, den ich jedoch im Ref zu bändigen lernte, aber noch immer da irgendwo da ist.
Danach folgte eine ebenfalls sehr abfällig formulierte Frage nach meinem Schnitt mit der Nebenbemerkung, dass eine Bewerbung in Hessen ja nur mit 7,5 Punkten möglich sei. Ich erläuterte ihr, dass auch bei 7,0 unter besonderen Umständen Chancen bestehen, ich aber nicht glaubte, dass ich mit meinem derzeitigen „Zustand“ (ungünstige und zugleich Wortwahl dafür, dass ich abseits einer WissMit-Stelle bei HM und Korrekturassistenz keine nennenswerte extrakurrikuläre Berufserfahrung sammeln konnte) wahrscheinlich sei. Dennoch habe ich es natürlich versucht. Nach Fall des Wortes "Zustand" entspannte sich ihr Ton etwas. Sie bat mich, das genauer auszuführen. Nach einer hastigen Konkretisierung mit dem Inhalt der letzten Klammern fuhr mich die Frau an, dass das doch kein Zustand sei. Ich entschuldigte mich für die sprachliche Ungenauigkeit.
Es folgte eine Frage zu meinen beruflichen Alternativen, welche ich wahrheitsgemäß schilderte und teils auch auf die bisher relativ guten Bewerbungsverfahren einging, um etwas Rapport wiederzugewinnen.
Mir ist bis heute nicht recht verständlich, warum man mich unbedingt nach dem Werdegang meiner Eltern befragen wollte. Die letzten Fragen hatten schon eine klare Richtung und die haben sie nicht verhohlen. In der Erziehung mögen meine Eltern eine große Rolle gespielt haben; wenn es für meinen Beruf irgendeine Bewandnis hätte, wäre es längst in meine Vorstellung oder ins Anschreiben gewandert. Dass man solche Aspekte vielleicht auch nicht erwähnt, um von Schicksalsschlägen nicht erzählen zu müssen, durfte die Fragende lernen, als ich ihr nunmehr notgedrungen den frühzeitigen Tod meines Vaters eröffnen musste. Ein Zischen ihrerseits war die einzige empathische Regung ihrerseits im gesamten Gespräch.
Den krönenden Abschluss bot eine liebevoll gestellte Frage nach meinen Interessen: „Gibt es in Ihrem Leben auch noch was Anderes als die Justiz?“ Ich erwähnte mein Interesse für Philosophie, Schach und Schreiben, welchen ich allen drei mit großer Leidenschaft nachgegangen bin.
Man bat mich nach draußen (es sind bis dahin ungefähr 20 Minuten vergangen), schickte mich nach ein paar Minuten wieder rein, verwies auf meine „Baustellen“ als Ausschlusskriterium nicht nur für den Justizdienst in Thüringen, sondern generell. Könnte sich aber vielleicht ändern in den nächsten Jahren bei meinen alternativen Beschäftigungsplänen, denn ich sei ja noch jung. Und ja, das war das gesamte Feedback. Ich bedankte mich, wünschte eine angenehme Heimreise sowie ein schönes Wochenende und ließ das Ministerium hinter mir.
Kosten: Rund 140 €. Mit „Stressinterview“ hatte das für mich herzlich wenig zu tun; ich hätte sogar noch nachvollziehen können, dass man mich nur her beordert hat, weil die auf der Website dargelegte Verwaltungspraxis sie dazu zwingt und man mir wegen meines Schnitts eben nochmal besonders das Leben schwer machen will, um mich zu beweisen. Vielleicht fing es auch so an. Für mich war es am Ende jedoch eher eine Botschaft: Leute wie dich wollen wir nicht nur hier, sondern generell in der Justiz nicht. Warum denke ich das? Ich fasse zusammen:
Ein bewusst ungünstig gewählter Termin, der einen Hotelaufenthalt erzwingt
- Schon vor dem Gespräch eine sachfremde, abfällige Äußerung über meine Kleidung (Was ist an einem Hut und einem klassischen Mantel überhaupt auszusetzen außer eine gewisse Reminiszenz ans letzte Jahrhundert, die jedoch von allen Altersklassen meiner Erfahrung nach überwiegend positiv aufgenommen wurde?)
- Wenig verhohlene Wut und Genervtheit durch das gesamte Gespräch ohne Rücksicht davor, dass ich situationsbedingt nervös war und sogar meine Erläuterung zu meiner Kleidung neben Stationszeugnissen wie Lebenslauf Anlass dafür geben dürfte, dass es im Regelfall anders ist
- Mehrmalige Unterbrechungen während der Schilderung, die nicht dem besseren Verständnis der Erzählung dienten.
- Die Abfolge der Fragen: Nach einer unterbrochenen Schilderung meines Werdegangs gleich eine Frage zu meinen Schwächen, eine sichtlich abfällig formulierte Frage über meinen Schnitt (die Erwähnung der 7,5 Punkte-Grenze zeigte, dass sie meinen Schnitt sehr wohl kannte.) mündend in eine plötzlich ruhige Frage über meinen Zustand, deren Wut über meine Antwort vermuten lässt, dass sie sich ein schnelles KO-Kriterium aus gesundheitlichen Gründen erhofft hat. Das wurde abgerundet mit einer Frage nach beruflichen Alternativen und zwei dem Gesamteindurck nach eher der Form nach formulierten Fragen.
- Die inhaltliche Stoßrichtung der Fragen. Die letzten beiden Punkte könnten auch ein Stressinterview-Ding sein; allerdings erklärt das den Sprung in der Laune der Frau nicht.
- Das karge Feedback am Ende, das ohne weitere Details auf meine „Baustellen“ verwies (Lies: Das, was sie sich in Frage 1 und 2 bescheinigen ließen mit Überleitung auf das, was ich in Frage 3 darstellen durfte.), zeigt ein geringes Interesse an meiner Person.
- Die unnötige und sachfremde Bemerkung, mich nicht nur in diesem Land, sondern generell für ungeeignet für den Justizdienst zu halten. Für ein einfaches Ende des Bewerbungsverfahrens wäre das nicht nötig gewesen.
- Das bewusste Ende des Bewerbungsgesprächs nach Absolvieren ihres Mindestkanons (angesetzt waren im Schreiben eigentlich 60 Minuten).
- Die Tatsache, dass sie mit mir so rumgesprungen sind, obwohl dem ebenfalls dort anwesenden Personaler bewusst war, dass ich einen von ihm provozierten Hotelaufenthalt hier hatte und das zumindest in ihrer Beratungsphase hätte zur Sprache kommen können.
Ich habe meine Schlüsse aus diesem Gespräch gezogen und werde zukünftig bemüht sein, keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Auch wenn man zu einem Vorstellungsgespräch geladen wurde, muss einem das Gegenüber nicht unbedingt wohlgesonnen sein. Das durfte ich auf dem harten Weg lernen. Ja, meine Sprache war nicht perfekt und meine Antworten haben Optimierungspotential, das ich auszuschöpfen gedenke. Insofern war die Erfahrung sehr lehrreich. Den hierfür Verantwortlichen dafür zu danken kann ich jedoch nicht über mich bringen, da sie zu diesem Prozess nur den Anlass beitrugen.
Wenn jemand selbst mit dem Gedanken spielt, sich dort für die Justiz zu bewerben oder dies getan hat, wäre ich für weitergehende Fragen per PN gern offen. Ich möchte niemanden davon abbringen, sondern lediglich schauen, ob es Leuten mit ähnlicher Ausgangsposition ebenso ging und Unklarheiten meiner Erzählung bereinigen. Ich kann kann mir sehr gut vorstellen, dass sie nicht alle Fragen beantwortet beziehungsweise Leser auch meine Wertungen hinterfragen möchten. Die Möglichkeit möchte ich Leuten mit starkem Interesse gerne bieten. Ich möchte nur um Verständnis bitten, dass ich nach der Erfahrung nicht die Energie für einen liebevoll kurierten Erfahrungsbericht aufbringen konnte, der diese schon jetzt beantwortet hätte; ich würde gerne weitermachen und nicht noch Tage an dieser Erfahrung sitzen, wenn mich mein Konto jeden Tag an dringendere Angelegenheiten erinnert. Die Zeit wäre für einen ordentlichen Bericht in meinen Augen nämlich nötig gewesen. Diese Vorgehensweise scheint mir nach langer Erwägung der beste Kompromiss zu sein.
Needless to say: Mit der Justiz in Thüringen habe ich nach dieser Erfahrung abgeschlossen.
Vielen Dank fürs Lesen!
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