24.01.2024, 03:49
Der Angeklagte hat an seinen eingeweihten Mitbewohner eine Armbanduhr verkauft, die zuvor in einem Schmuckladen aus einer Vitrine weggenommen worden war. Das Tatgericht kann nicht aufklären, ob es der Angeklagte selbst oder ob es ein anderer gewesen war, der die Armbanduhr aus der Vitrine weggenommen hatte. Der Angeklagte wird sodann im Wege der ungleichartigen Wahlfeststellung "wegen Diebstahl ODER Hehlerei" verurteilt.
Nun möchte der Angeklagte die Revision Aufklärungsrüge rechtfertigen (§ 244 II StPO). An solche Verfahrensrügen stellt die Rechtsprechung strenge formelle Anforderungen (§ 344 II 2 StPO). Demnach muss die Revisionsbegründung:
- den prozessualen Tatbestand wiedergeben
- das nicht aufgeklärte Beweisthema nennen
- ein konkretes Beweismittel bezeichnen
- das Ergebnis der entsprechenden Beweiserhebung behaupten
- zu der rechtlichen Bedeutung dieses Ergebnisses ausführen
- den sich aufdrängenden Anlass für die Beweiserhebung erläutern
Schwierigkeiten bereitet mir die vierte Voraussetzung: Es muss ein konkretes Ergebnis genannt werden, dass die (unterbliebene) Aufklärung (angeblich) ergeben hätte. Dabei kommt in dem vorliegenden Fall eine doppelte Aufklärunsrüge in Betracht:
Zweifel habe ich deshalb, weil der Angeklagte mit der einen Beweisbehauptung ("es war ganz sicher so und so") die andere Beweisbehauptung ("es war ganz sicher völlig anders") selbst zerschießt. Die erforderliche Tatsachenangabe (§ 344 II 2 StPO) ist insoweit offensichtlich widersprüchlich. Es gelingt noch nicht einmal dem Angeklagten selbst, dem Revisionsgericht einen auch nur einigermaßen plausiblen "wahren" Sachverhalt vorzulegen.
Andererseits könnte jede der Aufklärunsrügen ausschließlich für sich genommen zu betrachten sein. Und bei einer einzelnen Aufklärungsrüge prüft das Revisionsgericht auch sonst nicht wirklich, inwiefern ein behauptetes Beweisergebnis sich wohl auch wirklich eingestellt hätte. Die Beweisbehauptung würde das Revisionsgericht dann auch nur mit den tatrichterlichen Feststellungen oder allenfalls noch dem übrigen Akteninhalt abgleichen. Aber das Revisionsgericht würde die Beweisbehauptung an "Einlassungen" messen, die der Angeklagte plötzlich an anderer Stelle im Revisionsverfahren macht.
Das Problem lässt sich wohl dadurch zuspitzen (oder umgehen?), indem zunächst der Verteidiger eine der Aufklärungsrügen erhebt und anschließend dann der Angeklagte selbst (ggf. zu Protokoll der Geschäftsstelle) die andere erhebt. Da käme wohl auch eher niemand auf die Idee, der zunächst zulässig erhobenen Aufklärungsrüge des Verteidigers die spätere Aufklärungsrüge des Angeklagten selbst entgegenzuhalten. Oder? Wenn eine der beiden Aufklärungsrügen von der Staatsanwaltschaft kommen würde, würde sich naturgemäß niemand mehr an dem offensichtlichen Widerspruch zwischen zwei Behauptungen stören.
Für Beweisanträge und die dabei aufzustellenden Beweisbehauptungen dürfte Entsprechendes gelten (§ 244 III 1 StPO).
Nun möchte der Angeklagte die Revision Aufklärungsrüge rechtfertigen (§ 244 II StPO). An solche Verfahrensrügen stellt die Rechtsprechung strenge formelle Anforderungen (§ 344 II 2 StPO). Demnach muss die Revisionsbegründung:
- den prozessualen Tatbestand wiedergeben
- das nicht aufgeklärte Beweisthema nennen
- ein konkretes Beweismittel bezeichnen
- das Ergebnis der entsprechenden Beweiserhebung behaupten
- zu der rechtlichen Bedeutung dieses Ergebnisses ausführen
- den sich aufdrängenden Anlass für die Beweiserhebung erläutern
Schwierigkeiten bereitet mir die vierte Voraussetzung: Es muss ein konkretes Ergebnis genannt werden, dass die (unterbliebene) Aufklärung (angeblich) ergeben hätte. Dabei kommt in dem vorliegenden Fall eine doppelte Aufklärunsrüge in Betracht:
- Hinsichtlich der (wahlweise erfolgten) Verurteilung wegen Diebstahls könnte das Tatgericht etwa davon abgesehen haben, den Ladendetektiv des Uhrenladens als Zeugen zu vernehmen. Der Angeklagte könnte nun behaupten, dass dieser Ladendetektiv ausgesagt hätte, dass keinesfalls der Angeklagte, sondern ganz sicher dessen Nachbar die Armbanduhr aus der Vitrine genommen hat.
- Hinsichtlich der (ebenso wahlweise erfolgten) Verurteilung wegen Hehlerei könnte das Tatgericht davon abgesehen haben, den die Videoaufnahme einer Überwachungskamera in Augenschein zu nehmen. Der Angeklagte könnte nun behaupten, dass auf dem Video zu sehen ist, dass es sehr wohl der Angeklagte selbst gewesen ist, der die Armbanduhr aus der Vitrine genommen hat.
Zweifel habe ich deshalb, weil der Angeklagte mit der einen Beweisbehauptung ("es war ganz sicher so und so") die andere Beweisbehauptung ("es war ganz sicher völlig anders") selbst zerschießt. Die erforderliche Tatsachenangabe (§ 344 II 2 StPO) ist insoweit offensichtlich widersprüchlich. Es gelingt noch nicht einmal dem Angeklagten selbst, dem Revisionsgericht einen auch nur einigermaßen plausiblen "wahren" Sachverhalt vorzulegen.
Andererseits könnte jede der Aufklärunsrügen ausschließlich für sich genommen zu betrachten sein. Und bei einer einzelnen Aufklärungsrüge prüft das Revisionsgericht auch sonst nicht wirklich, inwiefern ein behauptetes Beweisergebnis sich wohl auch wirklich eingestellt hätte. Die Beweisbehauptung würde das Revisionsgericht dann auch nur mit den tatrichterlichen Feststellungen oder allenfalls noch dem übrigen Akteninhalt abgleichen. Aber das Revisionsgericht würde die Beweisbehauptung an "Einlassungen" messen, die der Angeklagte plötzlich an anderer Stelle im Revisionsverfahren macht.
Das Problem lässt sich wohl dadurch zuspitzen (oder umgehen?), indem zunächst der Verteidiger eine der Aufklärungsrügen erhebt und anschließend dann der Angeklagte selbst (ggf. zu Protokoll der Geschäftsstelle) die andere erhebt. Da käme wohl auch eher niemand auf die Idee, der zunächst zulässig erhobenen Aufklärungsrüge des Verteidigers die spätere Aufklärungsrüge des Angeklagten selbst entgegenzuhalten. Oder? Wenn eine der beiden Aufklärungsrügen von der Staatsanwaltschaft kommen würde, würde sich naturgemäß niemand mehr an dem offensichtlichen Widerspruch zwischen zwei Behauptungen stören.
Für Beweisanträge und die dabei aufzustellenden Beweisbehauptungen dürfte Entsprechendes gelten (§ 244 III 1 StPO).
30.01.2024, 21:52
Das Ziel der Revision des Angeklagten ist die günstigere Verurteilung. Hinsichtlich der Wahlfeststellung ist er aber m.E
nicht beschwert. Er kann also die Aufklärungsrüge wie von dir dargestellt erheben, die Revision dürfte trotzdem unzulässig sein mangels Beschwer.
Anders wäre es vllt dann, wenn das Gericht aufgrund einer der wahlweise ausgeurteilten Schuldsprüche besondere Rechtsfolgen bemisst, etwa wegen insofern einschlägiger Vorverurteilungen. Dann dürfte aber (das müsste ich nachschauen) die Strafzumessung fehlerhaft sein, sodass man sich mit einer Verfahrensrüge gar nicht abmühen muss.
nicht beschwert. Er kann also die Aufklärungsrüge wie von dir dargestellt erheben, die Revision dürfte trotzdem unzulässig sein mangels Beschwer.
Anders wäre es vllt dann, wenn das Gericht aufgrund einer der wahlweise ausgeurteilten Schuldsprüche besondere Rechtsfolgen bemisst, etwa wegen insofern einschlägiger Vorverurteilungen. Dann dürfte aber (das müsste ich nachschauen) die Strafzumessung fehlerhaft sein, sodass man sich mit einer Verfahrensrüge gar nicht abmühen muss.
31.01.2024, 15:32
Ich schließe mich meinem Vorredner an. Ich glaube du hast bereits ein Problem mit der Beschwer.
Aber zu deiner Frage: Ich glaube, mit der aufgezeigten Möglichkeit der Rügen kommst du sehr nah an das Rekonstruktionsverbot ran, indem das Revisionsgericht gezwungen wird, eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen. Du müsstest schon vortragen, dass das Beweismittel vorlag und durch die Akte dem Gericht bekannt war und es aber nicht im Sinne des § 244 II StPO in diese Richtung "ermittelt" hat im Rahmen der Hauptverhandlung. Da das Revisionsgericht nur schaut, ob es in diesem Bereich Lücken gibt und das Tatgericht die Ermittlung des wahren SV als zentrale Aufgabe nicht fokussiert hat, meine ich aus dem Bauch heraus, dass man auch in der von dir vorgetragenen Weise, eine Aufklärungsrüge erheben kann. Das Einzige, was eben zu beachten ist, dass herausgestellt wird, inwiefern das Tatgericht aufgrund des Akteninhalts und des Verfahrensablaufs sich hätte gedrängt sehen müssen, diese Beweismittel einzubeziehen.
Aber das Ganze ist ohne Gewähr.
Aber zu deiner Frage: Ich glaube, mit der aufgezeigten Möglichkeit der Rügen kommst du sehr nah an das Rekonstruktionsverbot ran, indem das Revisionsgericht gezwungen wird, eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen. Du müsstest schon vortragen, dass das Beweismittel vorlag und durch die Akte dem Gericht bekannt war und es aber nicht im Sinne des § 244 II StPO in diese Richtung "ermittelt" hat im Rahmen der Hauptverhandlung. Da das Revisionsgericht nur schaut, ob es in diesem Bereich Lücken gibt und das Tatgericht die Ermittlung des wahren SV als zentrale Aufgabe nicht fokussiert hat, meine ich aus dem Bauch heraus, dass man auch in der von dir vorgetragenen Weise, eine Aufklärungsrüge erheben kann. Das Einzige, was eben zu beachten ist, dass herausgestellt wird, inwiefern das Tatgericht aufgrund des Akteninhalts und des Verfahrensablaufs sich hätte gedrängt sehen müssen, diese Beweismittel einzubeziehen.
Aber das Ganze ist ohne Gewähr.