14.12.2023, 09:06
Hallo!
Ich überlege einen Wechsel in die Justiz und stelle, insbesondere wenn wir hier so die horrorgeschichten lesen, die Frage, wie die Unabhängigkeit des Richters sich in der Praxis anfühlt. Fühlt man sich wirklich frei und selbstbestimmt oder ist das durch den Erledigungsdruck teuer erkauft und letztlich säuft man einfach nur ab? Weil es Richter hat man ja auch unendliche Fristen und Terminsvorbereitungen etc..
Ich überlege einen Wechsel in die Justiz und stelle, insbesondere wenn wir hier so die horrorgeschichten lesen, die Frage, wie die Unabhängigkeit des Richters sich in der Praxis anfühlt. Fühlt man sich wirklich frei und selbstbestimmt oder ist das durch den Erledigungsdruck teuer erkauft und letztlich säuft man einfach nur ab? Weil es Richter hat man ja auch unendliche Fristen und Terminsvorbereitungen etc..
Erste Infos zum Bewerbungsverfahren für den Justizdienst findest Du auf den Richter-Infoseiten von Juristenkoffer.de:
https://www.juristenkoffer.de/richter/
Darüber hinaus sollte man sich dann mit dem Karriere-Dossier über die Einstellungschancen und Bewerbungsvoraussetzungen informieren. Optional besteht zudem die Möglichkeit, auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zuzugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben:
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
https://www.juristenkoffer.de/richter/
Darüber hinaus sollte man sich dann mit dem Karriere-Dossier über die Einstellungschancen und Bewerbungsvoraussetzungen informieren. Optional besteht zudem die Möglichkeit, auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zuzugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben:
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
14.12.2023, 13:54
Bei der Urteilsfindung bist du vollkommen frei (Ausnahme: Verfahren am LG, die in der Kammer entschieden werden. Da stimmt man sich innerhalb der Kammer hinsichtlich des Urteils ab).
Was das Freiheitsgefühl ansonsten angeht, kommt es - wie immer in der Juristerei - darauf an. Bei mir am AG ist es tatsächlich sehr frei. Ich kann kommen und gehen wann ich möchte und dadurch, dass ich Fristen und Termine selbst setze, hab ich es auch in der Hand, mich so zu organisieren, dass kein Stress entsteht. Im LG in einer Kammer kann es auch sehr frei sein, es sei denn, du hast einen ungnädigen Kammervorsitzenden.
Und (das darf man nicht so laut sagen, aber um dir ein realistisches Bild zu verschaffen): Falls ein Termin von mir mal nicht gehalten werden kann, dann kannst du den Termin auch verlegen (Stichwort: Der Termin wird aus dienstlichen Gründen verlegt auf...). Das solltest du aber echt nur machen, wenn es nicht anders geht, weil du a) sonst in einen Verlegungsteufelskreis kommst und b) die Parteien - und das natürlich auch zurecht - spätestens bei der zweiten Verlegung aus dienstlichen Gründen unruhig werden.
In jedem Fall kann ich den Einstieg beim Gericht sehr empfehlen. Ich mag diese Freiheit sehr und könnte mir derzeit nicht vorstellen, wieder in einer anderen "unfreieren" Einheit zu arbeiten.
Was das Freiheitsgefühl ansonsten angeht, kommt es - wie immer in der Juristerei - darauf an. Bei mir am AG ist es tatsächlich sehr frei. Ich kann kommen und gehen wann ich möchte und dadurch, dass ich Fristen und Termine selbst setze, hab ich es auch in der Hand, mich so zu organisieren, dass kein Stress entsteht. Im LG in einer Kammer kann es auch sehr frei sein, es sei denn, du hast einen ungnädigen Kammervorsitzenden.
Und (das darf man nicht so laut sagen, aber um dir ein realistisches Bild zu verschaffen): Falls ein Termin von mir mal nicht gehalten werden kann, dann kannst du den Termin auch verlegen (Stichwort: Der Termin wird aus dienstlichen Gründen verlegt auf...). Das solltest du aber echt nur machen, wenn es nicht anders geht, weil du a) sonst in einen Verlegungsteufelskreis kommst und b) die Parteien - und das natürlich auch zurecht - spätestens bei der zweiten Verlegung aus dienstlichen Gründen unruhig werden.
In jedem Fall kann ich den Einstieg beim Gericht sehr empfehlen. Ich mag diese Freiheit sehr und könnte mir derzeit nicht vorstellen, wieder in einer anderen "unfreieren" Einheit zu arbeiten.
14.12.2023, 14:28
(14.12.2023, 13:54)Leo@ius schrieb: Im LG in einer Kammer kann es auch sehr frei sein, es sei denn, du hast einen ungnädigen Kammervorsitzenden.
Wie ist das eigenrlich in der Praxis mit diesem Problem des 'ungnädigen Kammervorsitzenden'? Was hat der Vorsitzende denn für Hebel in der Hand, um einem Richter seinen Alltag madig zu machen?
So wie ich das verstanden habe, ist doch zumindest in Einzelrichtersachen der Richter trotzdem komplett frei in Terminierung, Bearbeitung, Sitzungsleitung etc., ohne dass der Vorsitzende damit überhaupt auch nur was zu tun hat? Und die Einzelrichtersachen machen doch eh den allergrößten Teil aus, oder?
Und in Kammersachen bestimmt der Vorsitzende halt die Termine und leitet sie, aber ansonsten? Inwiefern kann er dadurch seinem Beisitzer das Leben schwer machen?
14.12.2023, 14:35
Als Einzelrichter ist man das Gericht, der Vorsitzende hat dann überhaupt nichts mit dem Verfahren zu tun, und wie richtig erkannt gibst an größeren LGs viele Kammern, die ausschließlich Eri Materie bearbeiten. Und selbst die Spezialkammern für Baurecht etc. machen nicht nur das, allein schon, weil die Auslastung dafür nicht vorhersehbar ist.
Auch in Kammersachen kommt es sehr drauf an. Hier am VG entscheidet im Wesentlichen der BE, ob er die Sache als Kammer machen möchte oder sich übertragen lässt (Asyl sowieso, aber auch alles andere, es ist immerhin eine "soll" Vorschrift). Es gibt wohl andere Kammern mit Rechtsmaterie, in der der Vors. mehr selbst aktiv tätig wird, aber ansonsten ist es meine Sache als BE erstmal dem Vors anzutragen, dass ich diese Sache mir jetzt vornehme und wir einen Termin mit den Beteiligten abstimmen sollten.
Die größte Abhängigkeit hat man nur am LG in Strafsachen, aber da ist eh klar, dass man vmtl 2 bis 4 Tage in der Woche verhandelt und beisitzt oder BE ist.
Auch in Kammersachen kommt es sehr drauf an. Hier am VG entscheidet im Wesentlichen der BE, ob er die Sache als Kammer machen möchte oder sich übertragen lässt (Asyl sowieso, aber auch alles andere, es ist immerhin eine "soll" Vorschrift). Es gibt wohl andere Kammern mit Rechtsmaterie, in der der Vors. mehr selbst aktiv tätig wird, aber ansonsten ist es meine Sache als BE erstmal dem Vors anzutragen, dass ich diese Sache mir jetzt vornehme und wir einen Termin mit den Beteiligten abstimmen sollten.
Die größte Abhängigkeit hat man nur am LG in Strafsachen, aber da ist eh klar, dass man vmtl 2 bis 4 Tage in der Woche verhandelt und beisitzt oder BE ist.
14.12.2023, 14:37
(14.12.2023, 14:35)1Ri schrieb: Als Einzelrichter ist man das Gericht, der Vorsitzende hat dann überhaupt nichts mit dem Verfahren zu tun, und wie richtig erkannt gibst an größeren LGs viele Kammern, die ausschließlich Eri Materie bearbeiten. Und selbst die Spezialkammern für Baurecht etc. machen nicht nur das, allein schon, weil die Auslastung dafür nicht vorhersehbar ist.
Auch in Kammersachen kommt es sehr drauf an. Hier am VG entscheidet im Wesentlichen der BE, ob er die Sache als Kammer machen möchte oder sich übertragen lässt (Asyl sowieso, aber auch alles andere, es ist immerhin eine "soll" Vorschrift). Es gibt wohl andere Kammern mit Rechtsmaterie, in der der Vors. mehr selbst aktiv tätig wird, aber ansonsten ist es meine Sache als BE erstmal dem Vors anzutragen, dass ich diese Sache mir jetzt vornehme und wir einen Termin mit den Beteiligten abstimmen sollten.
Die größte Abhängigkeit hat man nur am LG in Strafsachen, aber da ist eh klar, dass man vmtl 2 bis 4 Tage in der Woche verhandelt und beisitzt oder BE ist.
PS: auch am VG lässt man sich normale Sachen, die schlicht nicht besonders schwierig sind, natürlich frühzeitig auf den Eri übertragen. Auch am VG macht man also 50 (?) - 95% alleine und hat entsprechend alle zeitlichen Freiheiten.
14.12.2023, 16:55
(14.12.2023, 14:35)1Ri schrieb: Als Einzelrichter ist man das Gericht, der Vorsitzende hat dann überhaupt nichts mit dem Verfahren zu tun, und wie richtig erkannt gibst an größeren LGs viele Kammern, die ausschließlich Eri Materie bearbeiten. Und selbst die Spezialkammern für Baurecht etc. machen nicht nur das, allein schon, weil die Auslastung dafür nicht vorhersehbar ist.
Auch in Kammersachen kommt es sehr drauf an. Hier am VG entscheidet im Wesentlichen der BE, ob er die Sache als Kammer machen möchte oder sich übertragen lässt (Asyl sowieso, aber auch alles andere, es ist immerhin eine "soll" Vorschrift). Es gibt wohl andere Kammern mit Rechtsmaterie, in der der Vors. mehr selbst aktiv tätig wird, aber ansonsten ist es meine Sache als BE erstmal dem Vors anzutragen, dass ich diese Sache mir jetzt vornehme und wir einen Termin mit den Beteiligten abstimmen sollten.
Die größte Abhängigkeit hat man nur am LG in Strafsachen, aber da ist eh klar, dass man vmtl 2 bis 4 Tage in der Woche verhandelt und beisitzt oder BE ist.
Kann man sagen, dass dir Richter in einer Großen Strafkammer am LG am häufigsten pro Woche verhandeln?
Wie wirkt sich das auf den Aktenumlauf aus? Haben diese Richter die gleiche Schlagzahl wie LG Richter im Zivilrecht?
14.12.2023, 21:08
(14.12.2023, 14:28)Nasu schrieb:(14.12.2023, 13:54)Leo@ius schrieb: Im LG in einer Kammer kann es auch sehr frei sein, es sei denn, du hast einen ungnädigen Kammervorsitzenden.
Wie ist das eigenrlich in der Praxis mit diesem Problem des 'ungnädigen Kammervorsitzenden'? Was hat der Vorsitzende denn für Hebel in der Hand, um einem Richter seinen Alltag madig zu machen?
So wie ich das verstanden habe, ist doch zumindest in Einzelrichtersachen der Richter trotzdem komplett frei in Terminierung, Bearbeitung, Sitzungsleitung etc., ohne dass der Vorsitzende damit überhaupt auch nur was zu tun hat? Und die Einzelrichtersachen machen doch eh den allergrößten Teil aus, oder?
Und in Kammersachen bestimmt der Vorsitzende halt die Termine und leitet sie, aber ansonsten? Inwiefern kann er dadurch seinem Beisitzer das Leben schwer machen?
Zugegeben nur vom Hörensagen fällt mir dazu ein, dass die/der Vorsitzende maßgeblich für die Stimmung in der Kammer verantwortlich ist. Also wenn es persönlich nicht passt, kann es blöd werden und dann kann dies hier und da auch die Freiheiten mittelbar einschränken, z.B. wenn du deinen Urteilsentwurf 5 mal überarbeiten musst, weil ihr/ihm jedes mal irgendeine Kleinigkeit nicht gefällt. Aber unabhängig davon treffen die Überlegungen zu den Einzelrichtersachen natürlich zu.
14.12.2023, 21:54
(14.12.2023, 16:55)JuraLiebhaber schrieb:(14.12.2023, 14:35)1Ri schrieb: Als Einzelrichter ist man das Gericht, der Vorsitzende hat dann überhaupt nichts mit dem Verfahren zu tun, und wie richtig erkannt gibst an größeren LGs viele Kammern, die ausschließlich Eri Materie bearbeiten. Und selbst die Spezialkammern für Baurecht etc. machen nicht nur das, allein schon, weil die Auslastung dafür nicht vorhersehbar ist.
Auch in Kammersachen kommt es sehr drauf an. Hier am VG entscheidet im Wesentlichen der BE, ob er die Sache als Kammer machen möchte oder sich übertragen lässt (Asyl sowieso, aber auch alles andere, es ist immerhin eine "soll" Vorschrift). Es gibt wohl andere Kammern mit Rechtsmaterie, in der der Vors. mehr selbst aktiv tätig wird, aber ansonsten ist es meine Sache als BE erstmal dem Vors anzutragen, dass ich diese Sache mir jetzt vornehme und wir einen Termin mit den Beteiligten abstimmen sollten.
Die größte Abhängigkeit hat man nur am LG in Strafsachen, aber da ist eh klar, dass man vmtl 2 bis 4 Tage in der Woche verhandelt und beisitzt oder BE ist.
Kann man sagen, dass dir Richter in einer Großen Strafkammer am LG am häufigsten pro Woche verhandeln?
Wie wirkt sich das auf den Aktenumlauf aus? Haben diese Richter die gleiche Schlagzahl wie LG Richter im Zivilrecht?
Nein, kann man so pauschal nicht sagen. Liegt vielleicht an meinem Gerichtsbezirk, aber bei uns haben die meisten Zivilkammern mehr Sitzungen als die Strafkammern. Plus den zweiten Tag Einzelrichtersachen, der ja in den Strafkammern wegfällt.
Bei den Strafkammern kommen allerdings die Anhörungstermine in den Haftsachen dazu. Deshalb kann es schon im Schnitt ggf sein, dass der Aktenumlauf insgesamt etwas höher ist.
Aber wie gesagt, ich denke das kann man nicht pauschalisieren. Es kommt wie immer einfach auf Dezernat an.
15.12.2023, 07:49
Wie soll das funktionieren? Wie viele Sitzungstage macht denn eine Strafkammer bei euch pro Woche? Und wie viele Kammersitzungstage eine Zivilkammer?
15.12.2023, 07:55
(14.12.2023, 16:55)JuraLiebhaber schrieb:(14.12.2023, 14:35)1Ri schrieb: Als Einzelrichter ist man das Gericht, der Vorsitzende hat dann überhaupt nichts mit dem Verfahren zu tun, und wie richtig erkannt gibst an größeren LGs viele Kammern, die ausschließlich Eri Materie bearbeiten. Und selbst die Spezialkammern für Baurecht etc. machen nicht nur das, allein schon, weil die Auslastung dafür nicht vorhersehbar ist.
Auch in Kammersachen kommt es sehr drauf an. Hier am VG entscheidet im Wesentlichen der BE, ob er die Sache als Kammer machen möchte oder sich übertragen lässt (Asyl sowieso, aber auch alles andere, es ist immerhin eine "soll" Vorschrift). Es gibt wohl andere Kammern mit Rechtsmaterie, in der der Vors. mehr selbst aktiv tätig wird, aber ansonsten ist es meine Sache als BE erstmal dem Vors anzutragen, dass ich diese Sache mir jetzt vornehme und wir einen Termin mit den Beteiligten abstimmen sollten.
Die größte Abhängigkeit hat man nur am LG in Strafsachen, aber da ist eh klar, dass man vmtl 2 bis 4 Tage in der Woche verhandelt und beisitzt oder BE ist.
Kann man sagen, dass dir Richter in einer Großen Strafkammer am LG am häufigsten pro Woche verhandeln?
Wie wirkt sich das auf den Aktenumlauf aus? Haben diese Richter die gleiche Schlagzahl wie LG Richter im Zivilrecht?
Um hierauf direkt einzugehen: ich würde es so sagen von dem, was ich von Kollegen weiß. Ich habe am LG in Zivilsachen einmal pro Woche verhandelt, die Strafkammern mehrere Tage - wie sollen sie sonst auch Verfahren erledigen, man sitzt ja für viele Strafkammersachen mehrere Tage. Umso klarer ist doch auch, dass der Aktenumlauf verschiedener Sachen viel geringer ist als im Zivilrecht. Zur Einordnung, auf der Website des LG Bremen:
Das Landgericht umfasst 10 Zivilkammern, 4 Kammern für Handelssachen und insg. 18 Strafkammern für erst – und zweitinstanzliche Verfahren.
Im Jahr 2022 wurden 2.579 Zivil- und Handelssachen 1. und 2. Instanz, 270 Strafsachen erster Instanz und 188 Strafsachen zweiter Instanz erledigt.
1 Zivilkammer erledigt also ca 250 Sachen 1. und 2. Instanz im Schnitt p.a.
Bei den Strafkammern ist es schwieriger zu berechnen wegen der verschiedenen Zusammensetzung bzgl. 1. und 2. Instanz, aber rechnerisch entfallen 26 Sachen pro Jahr auf jede Strafkammer. Da muss man aber auch an einem recht großen LG mit Doppelbesetzungen rechnen als Berufsrichter.
Die Bekannten, die als Proberichter in Großen Strafkammern waren, empfanden es immer als das im Vergleich entspannteste. Gleichzeitig aber eben auch manchmal frustrierend weil man eben immer nur beisitzt.