01.02.2023, 16:11
(01.02.2023, 14:21)NDS-Jura1 schrieb:(01.02.2023, 13:29)lila-grün schrieb: Hi,
ich muss sagen, ich habe mich in dem "kleinen Roman" sehr gut wiedererkannt, ich bin nur anders abgebogen als Du...
Ich glaube auch, einige Antworten haben Dich etwas missverstanden: für mich klingt es jedenfalls, als würdest Du sehr gern juristisch arbeiten, der Hinweis, Jura war wohl nicht das richtige für Dich ist also dann eher nicht zutreffend. Sicherlich könntest du auch ganz etwas anderes machen, aber ich sehe Dich jetzt nicht völlig auf dem falschen Dampfer...
Zu mir: Meine Eltern sind sogar beide Juristen, mir wurde dadurch allerdings gar nicht zum Jurastudium geraten, es wurde eher mit Sorge bzgl. der hohen Belastung darauf geblickt, aber ich habe es mir dennoch ausgesucht. Ich habe im Gegensatz zu Dir das Studium teilweise sehr genossen, weil ich die Inhalte eben einfach allermeistens sehr interessant fand und auch direkt sehr nette Leute bzw. Freund:innen getroffen habe. Aber auch ich hatte im Grunde immer Scheuklappen auf hinsichtlich der Frage, was ich eigentlich damit anfangen will bzw. was am besten zu mir passt. Ich dachte immer, naja man kann ja soooo viel damit machen, und ich werde eben einfach Richterin, wenn ich die nötigen Examen schaffe - was ich dann auch getan habe. Dem habe ich auch wahnsinnig viel untergeordnet, habe zB im Studium keine Reisen oder ähnliches gemacht und in der Examensvorbereitung kaum Dinge unternommen, was mir meine Freund:innen teilweise erst heute drastisch gespiegelt haben. So habe ich jetzt ein "gut" und ein "vb" in der Tasche. Zuerst habe ich noch eine Promotion angefangen - während Corona - , das war allerdings so einsam, dass ich damit aufgehört und den Plan Justiz vorgezogen habe. Hier finde ich es wahnsinnig spannend, wie Du dein Gefühl beschreibst bei dem Gedanken, in die Justiz zu gehen: dieser innere Widerstand, der riesige Respekt vor der Verantwortung und der Arbeitsbelastung. Ganz genau so ging es mir auch! Mein Bauchgefühl hat wirklich Nein geschrien, aber ich habe mich darüber hinweggesetzt und bin dennoch eingestiegen. Ich kam dann ans Amtsgericht in Zivilsachen. Und die Belastung war unglaublich hoch. Ich habe mittlerweile erfahren, dass bei manchen StAs erst ein halbes Dezernat zugewiesen wird, bei mir am Amtsgericht war es jedenfalls ein volles. Genau wie Du es beschreibst, es war ähnlich wie in der Zivilstation im Referendariat (die ich auch furchtbar fand, hätte ein weiterer Hinweis iSe red flag sein können), man hat dauerhaft die Arbeit im Nacken, ich konnte kaum mit gutem Gewissen Feierabend machen, am Wochenende habe ich auch an beiden Tagen an irgendwelchen Urteilen geschrieben oder Verhandlungen vorbereitet. Nach wenigen Monaten habe ich dann die Reißleine gezogen, denn die Tätigkeit war zum einen einsam (also insoweit auch keine Verbesserung zur Corona-Promotion) und es kam mir zugleich nicht vor, als würde man etwas bewirken, sondern nur abarbeiten und wegarbeiten. Natürlich bedeutet jede Entscheidung etwas für einen Menschen (die Parteien), aber davon erfährst Du als Richterin in den unteren Instanzen eben nichts. Das Urteil wird rausgeschickt von der Geschäftsstelle und ciao - da ist sie weg, Deine Wochenend-Arbeit, Du hörst nur wieder davon, wenn sie berufungsfähig war und Berufung eingelegt wird (das jetzt alles fürs Zivilrecht gesprochen). Sicherlich stimmt es, was hier schon eingebracht wurde, dass die Belastung abnimmt irgendwann, aber da muss man auch erstmal hinkommen. Zumindest 6 Monate lang besteht auch noch die Urlaubssperre, d.h. Luft holen geht am Anfang nur über Krankmelden (und da werden auch nur deine Posteingänge vertreten, d.h. Urteile und Verhandlungen/Vorbereitungen bleiben liegen, der Stapel wächst weiter in Deiner Abwesenheit). Mein großes Pro für die Justiz war das, was Dir gerade zu fehlen scheint, nämlich das "kernjuristische" Arbeiten, aber jedenfalls am Amtsgericht ist allenfalls das Prozessrecht sehr strikt und wichtig zu kennen und zu befolgen, hinsichtlich materiellem Recht wird aber gern mal über den Daumen gepeilt, der Masse wegen. Langes Feilen an Urteilen ist zeitlich - zumindest am Anfang, nur davon kann ich berichten - unmöglich. Die Freude am Juristischen bleibt also (erstmal!) auf der Strecke. Das alles sind jetzt nur Schilderungen des Einstiegs und natürlich auch von einem konkreten Gericht - jedes Gericht/Bundesland hat da sicherlich auch Spielraum, den Einstieg besser zu gestalten.
So kann ich aber aus meiner persönlichen Erfahrung heraus eher davor warnen, Dich - jedenfalls zu früh - über einen inneren Widerstand, der über leichte Zweifel oder gewöhnliches "aufgeregt" sein, hinausgeht, hinwegzusetzen. Ich vermute, dass es in dem Falle besser ist (gewesen wäre), noch länger woanders Berufserfahrung zu sammeln, um sich als berufstätige:r Jurist:in zu etablieren, sich seiner Stärken und Qualitäten in der Praxis weiter sicher zu werden und ein "Dickes Fell" zu entwickeln - wobei man denken würde, dass die zwei Examens-Erfahrungen zu überstehen für ein dickes Fell ausreichen, aber so ist es wohl doch nicht (zwingend)... Das war eben immer wie Du beschreibst "auf ein Ziel hinarbeiten" und dann im richtigen Moment abliefern. Und so ist es dann später eben nicht mehr.
Im Übrigen gilt das mit der Justiz sicherlich nicht für jede:n, eine Kollegin von mir hat etwa gleichzeitig angefangen und sie hat meiner Vermutung nach ein bisschen eine (gesunde) "ach scheiß drauf"-Mentalität, hat sogar bei ihrer ersten Verhandlung den Anfang verschlafen, während ich die Nacht über wach lag, also wer so abgebrüht ist, der kann sicherlich auch früh gut in die Justiz einsteigen und nimmt sich den Druck einfach nicht so zu Herzen ;) Und hinsichtlich der Einsamkeit gilt das auch nur für die Arbeit an sich, die Kolleg:innen waren - bis auf ein paar komische Käuze - alle sehr smart, oft witzig, teils jung, und hilfsbereit.
Sorry auch hier für den Roman...
Ich suche jetzt also auch nach einem neuen Job, weiß auch nicht wohin mit mir und würde (Stand jetzt) gerne in die Verwaltung - für mich klingt es jetzt gerade sehr verlockend, dass nicht gearbeitet wirdaber ich verstehe, dass auch das wieder zum Problem werden kann. Ich hoffe, jemand gießt dich als Primel doch bald mal wieder!
Danke für Deinen so offen geschriebenen Beitrag - ganz liebe Grüße :)
Welches gottlose Bundesland setzt seine Proberichter:innen denn bitte im first Year in ein abgesoffenes AG Dezernat?
Haha danke. :)
Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert... gottlos im Teufelskreis...
Ich finde übrigens wie schon gesagt wurde, die genannten Vorschläge an Bepo - Rechtsamt oder Unternehmen - klingen ganz gut! Also ich war zB im Rechtsamt einer mittelgroßen Stadt in der Wahlstation und das war tatsächlich super...
Nachrichten in diesem Thema
Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Bepo - 31.01.2023, 16:30
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von wacaffe - 31.01.2023, 16:46
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von RicheraPro - 31.01.2023, 16:54
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Egal - 31.01.2023, 20:51
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Ex-GK - 01.02.2023, 09:43
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Patenter Gast - 31.01.2023, 17:11
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Lars die Ente - 01.02.2023, 09:47
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von lila-grün - 01.02.2023, 13:29
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von NDS-Jura1 - 01.02.2023, 14:21
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von lila-grün - 01.02.2023, 16:11
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von ProbR - 01.02.2023, 16:14
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Bepo - 01.02.2023, 16:22
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Ex-GK - 01.02.2023, 16:48
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Blabl - 06.02.2023, 19:26
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Exri - 01.02.2023, 20:23
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Bepo - 06.02.2023, 12:06
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Jura5000 - 06.02.2023, 15:06
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Bepo - 06.02.2023, 15:59
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Gast01234 - 06.02.2023, 16:05
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Jura5000 - 06.02.2023, 17:48
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Paulaner - 06.02.2023, 16:06
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Juramaus - 06.02.2023, 17:10
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Blabl - 06.02.2023, 19:52
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Therizinosaurus - 26.07.2024, 20:22
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Spencer - 27.07.2024, 10:49
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von bona fides - 26.07.2024, 21:36
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Therizinosaurus - 27.07.2024, 20:57
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Spencer - 28.07.2024, 10:09
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Spencer - 28.07.2024, 10:59
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von hp123 - 28.07.2024, 11:28
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Therizinosaurus - 28.07.2024, 19:59
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Spencer - 01.08.2024, 21:08
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Homer S. - 01.08.2024, 23:20
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Spencer - 01.08.2024, 23:45
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Blues5 - 02.08.2024, 07:24
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Kölnjurist - 02.08.2024, 15:25
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Spencer - 03.08.2024, 07:14
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von FFM_Brudi - 03.08.2024, 10:40
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Spencer - 03.08.2024, 11:09
RE: Krise nach 3 Jahren im Beruf - von Spencer - 11.08.2024, 13:41