09.03.2021, 20:46
(09.03.2021, 20:23)Landvogt schrieb:(09.03.2021, 15:15)Gast schrieb: Hallo Leute
mit folgendem Problem komme ich alleine nicht mehr weiter, sodass ich auf eure Hilfe angewiesen bin. Ich habe mir das mit der Tatsachenpräklusion (Präjudizialität) so gemerkt, dass Tatsachenvortrag ausgeschlossen ist, der sich nicht mit dem Ergebnis der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung über den Streitgegenstand verträgt, sprich im Widerspruch zu dieser steht. In folgenden Beispielen habe ich allerdings Schwierigkeiten:
Beispiel 1: Der Kläger macht im Wege der Teilklage einen Zahlungsanspruch in Höhe von 10.000 Euro (aus 20.000 Euro) aus Kaufvertrag geltend. Der Abschluss des Kauvertrages wird vom Beklagten nicht bestritten. Er behauptet allerdings, dass der Kläger ihn bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig getäuscht habe. Der Kläger dringt mit seiner Teilklage nicht durch, da das Gericht von der arglistigen Täuschung überzeugt ist.
Soweit ich es richtig verstanden habe, wäre Vorfrage lediglich der Abschluss des Kaufvertrages. Dieser wurde vom Beklagten nicht bestritten. Hieran wäre das Gericht gebunden, wenn der Kläger in einem weiteren Prozess versuchen würde, zumindest den Restbetrag, also die restlichen 10.000 Euro geltend zu machen. Der Beklagte wäre demnach mit der Behauptung ausgeschlossen, dass ein Kaufvertrag nicht zu Stande gekommen ist. An die Einwendung der arglistigen Täuschung, den das Gericht des vorangegangenen Prozesses anerkannt hat, wäre das Gericht im Folgeprozess demgegenüber nicht gebunden. Es könnte das mit der arglistigen Täuschung also auch anders sehen und dem Kläger die 10.000 Euro zusprechen; in der Praxis wahrscheinlich eher unwahrscheinlich. Ist das so richtig und kann der Beklagte diese Möglichkeit nur ausschließen, in dem er im Ursprungsprozess die Zwischenfeststellungsklage erhebt?
Beispiel 2: Diesmal dringt der Kläger durch.
Wäre das Gericht nun daran gebunden, dass das Gericht im ersten Prozess die Einwendung der Anfechtung nicht durchgreifen hat lassen, sodass die Einwendung des Beklagten wegen der Anfechtung präkludiert wäre? Ich würde sagen, ja, da die Entscheidung andernfalls im Widerspruch zu den in der ersten Entscheidung in Rechtskraft erwachsenen Streitgegenstand stehen würde.
Ich meine wie auch der Vorposter, dass in beiden Beispielen keine Bindungswirkung besteht.
Sowohl beim Abschluss des Kaufvertrages als auch bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung handelt es sich um Vorfragen, die gerade nicht in Rechtskraft erwachsen. Durch das auf die erste Teilklage ergangene Urteil steht rechtskräftig (präjudiziell) nur fest, dass dem Kläger ein Betrag von 10.000,- € (nicht) zusteht. Dass der Kaufvertrag (nicht) besteht, ist als Vorfrage von der Rechtskraft nicht umfasst und müsste demnach durch Zwischenfeststellungsklage einer der Rechtskraft fähigen Entscheidung zugeführt werden. Selbst im Falle eines entsprechenden Feststellungsurteils in Bezug auf das (Nicht-)Bestehen des Vertragsverhältnisses wäre aber der (potentielle) Auflösungsgrund "Anfechtung wegen arglistiger Täuschung" von der Rechtskraft nicht umfasst, sondern eben nur das Bestehen bzw. Nichtbestehen des Vertragsverhältnisses.
Wäre allerdings bspw. auf eine Zwischenfeststellungsklage hin das Bestehen des Vertrages rechtskräftig festgestellt, wäre diese Feststellung im Prozess über die zweite Teilklage präjudiziell. Der Beklagte könnte daher das Bestehen des Vertrages nicht mehr infrage stellen, etwa mit dem Anfechungseinwand wegen arglistiger Täuschung. Er könnte sich aber sehr wohl noch auf die arglistige Täuschung berufen, um etwa Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten o.Ä. geltend zu machen, da die arglistige Täuschung selbst von der Rechtskraftwirkung nicht umfasst ist.
(Vgl. zum Ganzen BGH NJW 2017, 893)
Hinzu kommt allerdings in den gewählten Beispielen der bereits vom Vorposter angesprochene zweite Punkt, dass es sich in beiden Beispielen um Teilklagen handelt, bei denen sich der Umfang der Rechtskraft (und damit auch der Präjudizwirkung und Tatsachenpräklusion) auf den eingeklagten Teil beschränkt. Die Rechtskraft von Urteilen über Teilklagen beschränkt sich auf den eingeklagten Teil. In Bezug auf den noch nicht eingeklagten Rest besteht keinerlei Bindung, auch wenn die Zuerkennung des Rests eigentlich nur folgerichtig wäre. Die Rechtskraft umfasst nicht die Folgerichtigkeit der Entscheidungsgründe.
(Vgl. hierzu BGH NJW 1985, 1340).
Wirklich zwingend ist dieses Verständnis - mit Blick auf den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff - aber zugegeben nicht. So geht etwa das BAG davon aus, dass bei einer klageabweisenden Entscheidung der ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung ist (NZA 2017, 593 Rn. 40).
Ritterschlag, wenn der Landvogt einem zustimmt. Der Thread kann dann zu.
Aber noch zur Ergänzung deines letzten Punktes: Die Aussage, dass bei klageabweisenden Urteilen stets der ausschlaggebende Abweisungsgrund mit in Rechtskraft erwächst, habe ich bisher immer so verstanden, dass beispielsweise bei abgewiesenen Zahlungsklage in Rechtskraft erwächst, dass der geltend gemacht Anspruch nicht besteht. Diese Auffassung gerät ja aber in keinen Konflikt mit den sonstigen Grundsätzen zur Rechtskraft, weil spiegelbildlich bei stattgebenden Klage zugleich rechtskräftig feststeht, dass der Anspruch besteht (das Bestehen des Anspruchs also selbstverständlich keine bloße Vorfrage des stattgebenden Urteils ist). Oder denkst du, dass "ausschlaggebender Abweisungsgrund" weiter zu verstehen ist (z.B. im Sinne des Nichtbestehens des Kaufvertrags)?
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Frage zur materielle Rechtskraft / Präjudizialität ZPO - von Gast - 09.03.2021, 15:15
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