28.11.2020, 08:23
Ich bin Proberichter im zweiten Jahr an einem AG in Hessen mit einem 100%-Zivildezernat und derzeit mit ca 320 offenen Verfahren (es waren vor ein paar Monaten mal 360). Ich habe zwei Sitzungstage und terminiere zwischen 8 - 10 Sachen die Woche, wobei ich darauf achte, i.d.R nur eine Beweisaufnahme pro Sitzungstag zu haben. Gelingt aber auch nicht immer. Die Arbeitsbelastung war in den Monaten nach dem Frühjahrs-Lockdown sehr hoch, trotz 50-55 Erledigungen pro Monat konnte ich den Bestand meines Dezernats entweder gar nicht oder nur unwesentlich abbauen. In den letzten 6 Wochen hat sich das aufgrund deutlich geringerer Eingangszahlen geändert. Meine Arbeitszeiten waren oft genug von morgens halb acht bis abends um 19h, Spitzenwert war „Feierabend“ um kurz vor 21 Uhr. Da fragt man sich schon, was man da eigentlich gerade macht. In den letzten zwei Wochen ist zum Glück etwas Entspannung eingekehrt und ich hatte normale Wochen mit etwas über 40 Stunden. Die Arbeit macht mir trotz allem viel Spaß, was aber maßgeblich auch mit einem netten Kollegium und motivierten Leuten in der Geschäftsstelle zu tun hat. Wäre das anders, wäre auch meine Arbeitszufriedenheit deutlich geringer. Ansonsten hat Corona dazu geführt, dass wir endlich besser ausgestattet werden und in Kürze auch Videoverhandlungen werden durchführen können. Alles in allem würde ich derzeit den Richterberuf wieder wählen.
28.11.2020, 10:39
Um mal was dagegen zu setzen: Hatte damals als Assessor am AG etwa 300 offene Sachen und habe nach einer kurzen Einarbeitungszeit eher 30 als 40 Stunden gearbeitet und den Bestand gut gehalten. Das Feedback aus der Anwaltschaft war positiv, vor allem weil ich Zeit hatte, mich um die Sachen zu kümmern (auch mal Hinweise vor dem Termin + schriftlicher Vergleichsvorschlag).
Am LG war es dann aber auch mehr.
Am LG war es dann aber auch mehr.
28.11.2020, 11:40
es ist wirklich erstaunlich, wie die Richter hier rumheulen. Kommt mal zur StA. Wir haben eine wesentlich höhere Aktenbelastung und filtern für Euch noch den Mist raus. Ich kenne viele Assessoren, die sowohl AG, LG und StA kennen und bei der StA brennt die Hütte wirklich.
28.11.2020, 11:45
Ist das jetzt ein Wettheulen hier?
28.11.2020, 11:53
(28.11.2020, 11:45)Gast schrieb: Ist das jetzt ein Wettheulen hier?
Genau aufgrund dieser fehlenden Solidarität in der Justiz hat die Exekutive leichtes Spiel mit uns. Sie halten unser Verantwortungsbewusstsein als Geisel und können sich zurücklehnen. Eine dauerhafte Pebb§x-Belastung von 120 % als Normalzustand auszusitzen ist mit nichts zu rechtfertigen.
Regelmäßige Rotationen zwischen Dezernaten, Gerichten und den Gerichtsbarkeiten könnte die Situation verbessern. Aber dafür müssten sich die Kollegen mit den guten Dezernaten bewegen, u d das wird von alleine nicht passieren.
28.11.2020, 12:51
(28.11.2020, 11:53)Proberichter aus Hessen schrieb:(28.11.2020, 11:45)Gast schrieb: Ist das jetzt ein Wettheulen hier?
Genau aufgrund dieser fehlenden Solidarität in der Justiz hat die Exekutive leichtes Spiel mit uns. Sie halten unser Verantwortungsbewusstsein als Geisel und können sich zurücklehnen. Eine dauerhafte Pebb§x-Belastung von 120 % als Normalzustand auszusitzen ist mit nichts zu rechtfertigen.
Regelmäßige Rotationen zwischen Dezernaten, Gerichten und den Gerichtsbarkeiten könnte die Situation verbessern. Aber dafür müssten sich die Kollegen mit den guten Dezernaten bewegen, u d das wird von alleine nicht passieren.
Nein, durch Rotationen geht der Justiz gerade viel Sachverstand verloren. Kein Anwalt mit Spezialisierung im Kapitalmarktrecht hat nach 5 Jahren die Idee, sich jetzt doch mal am Verwaltungsgericht im öff. Baurecht zu versu hen für einen Mandanten. Weil es garkeinen Sinn macht.
28.11.2020, 16:22
(28.11.2020, 11:40)Gast schrieb: es ist wirklich erstaunlich, wie die Richter hier rumheulen. Kommt mal zur StA. Wir haben eine wesentlich höhere Aktenbelastung und filtern für Euch noch den Mist raus. Ich kenne viele Assessoren, die sowohl AG, LG und StA kennen und bei der StA brennt die Hütte wirklich.
StA ist längst nicht so schlimm wie ein abgesoffenes LG Dezernat.
28.11.2020, 16:59
(28.11.2020, 16:22)Gast schrieb:(28.11.2020, 11:40)Gast schrieb: es ist wirklich erstaunlich, wie die Richter hier rumheulen. Kommt mal zur StA. Wir haben eine wesentlich höhere Aktenbelastung und filtern für Euch noch den Mist raus. Ich kenne viele Assessoren, die sowohl AG, LG und StA kennen und bei der StA brennt die Hütte wirklich.
StA ist längst nicht so schlimm wie ein abgesoffenes LG Dezernat.
Das würde ich ja bezweifeln. Während meiner StA-Station lagerten die Akten kistenweise im Flur, weil in den Büros kein Platz mehr war. Es hat mich sehr gejuckt, das dem Ordnungsamt zu melden mit Blick auf Brandschutz...
Aber die StA hat ja ihr eigenes Allheilmittel gegen Überastung: einfach alles einstellen.
28.11.2020, 17:28
(28.11.2020, 16:59)Gast schrieb:(28.11.2020, 16:22)Gast schrieb:(28.11.2020, 11:40)Gast schrieb: es ist wirklich erstaunlich, wie die Richter hier rumheulen. Kommt mal zur StA. Wir haben eine wesentlich höhere Aktenbelastung und filtern für Euch noch den Mist raus. Ich kenne viele Assessoren, die sowohl AG, LG und StA kennen und bei der StA brennt die Hütte wirklich.
StA ist längst nicht so schlimm wie ein abgesoffenes LG Dezernat.
Das würde ich ja bezweifeln. Während meiner StA-Station lagerten die Akten kistenweise im Flur, weil in den Büros kein Platz mehr war. Es hat mich sehr gejuckt, das dem Ordnungsamt zu melden mit Blick auf Brandschutz...
Aber die StA hat ja ihr eigenes Allheilmittel gegen Überastung: einfach alles einstellen.
Eben. Hätte ich zu meiner Zeit am LG auch gerne getan.
28.11.2020, 19:01
(26.11.2020, 15:33)Gast schrieb: Wenn man einen scheiß Job nur macht, damit nicht noch ungeeignetere den Job mache, mit welcher Berechtigung jammert man dann über diesen Job? Sry, aber mir fehlt dafür jede Verständnis
Sei lieber froh, dass es diese Leute gibt, ohne diese derzeit kein funktionierender Rechtsstaat und ohne den würde es uns allen doch eher schlechter gehen...
Ich bin seit circa einem Jahr dabei (nrw). Bin um ehrlich zu sein eingestiegen um mir mal selbst ein Bild zu machen und zu gucken welche Vorurteile so stimmen und welche nicht.
Bin dabei, weil es inhaltlich schon interessant ist und für den CV ein Wechsel nach ein paar Monaten eher unschön ist. Und eilig ist es ja nicht.
Finde die Zustände aber auch erschreckend.
Ich bin als Richter offenbar nicht befugt, eine Kaffeemaschine in einem Büro zu betreiben. Im Sommer keine Klimaanlage und ein Bau der in seiner Zweckmäßigkeit mit einer JVA zu vergleichen ist. Dazu bekomme ich Ärger wenn ich die Post it s vom Dolmetscherbüro verwende.
Wohlfühlatmossphäre bei 0.
Karrieremöglichleiten nahe 0.
Wenn ich früher in der Kanzlei ein Buch brauchte wurde das bestellt, ohne Nachfrage. Heute kann ich das selber kaufen oder googlen.
Finde die Besoldung schon etwas problematisch sofern man Richter am AG oder Proberichter ist. Was allerdings gar nicht geht, ist die Besoldung von Vorsitzenden. Dort steht man nach meiner Erfahrung in öffentlichkeitswirksamen Prozessen mehrmals im Jahr dermaßen unter Feuer, dass ich mir nicht vorstellen könnte, warum ich mir das antun sollte. Das grenzt schon an Ehrenamt.
An dieser Stelle Hut ab vor denen die das machen!!
Positiv ist:
Meine Kollegen sind fast alle sehr nett. Aber die Wenigsten sind beim Gericht um dort zu arbeiten, die meisten (auch einer meiner Gedanken) weil sie nicht so viel und vor allem freier als in einer GK arbeiten wollen. Und weil sie ohne Probleme schwanger werden können, inkl. Beschäftigungsverbot für mehrere Monate...
Viele überzeugen mich auch fachlich eher nicht (gilt nicht für Vorsitzende, diese sind eher das Gegenteil).
Ich bleibe wohl stand jetzt noch ein bisschen, werde jeden Tag etwas cleverer und werde wohl in nicht allzu ferner Zukunft aussteigen und in eine Boutique wechseln oder mich selbstständig machen.
Weil was ich leider nicht kann ist, meinen Job nur halb erledigen und mein jetziges Pensum für den Lohn (fehlende Anerkennung/Wetschätzung und Gehalt) noch Jahre weiter zu machen.