27.10.2022, 14:16
Ich stimme nur dahingehend zu, dass über den Zeitdruck allenfalls der Schwierigkeitsgrad erhöht werden soll. Andernfalls spielen die Examensklausuren den Arbeitsalltag meiner Ansicht nach nicht mal ansatzweise wieder. Das besondere am Examen ist, dass neben dem Zeitdruck auch noch eine inhaltlich anspruchsvolle Aufgabe dazu kommt. Ich möchte niemandem der Kolleginnen absprechen, dass ihre Arbeit inhaltlich anspruchsvoll ist, aber in der Regel beschäftigt man sich in seinem Arbeitsalltg nicht ausschließlich mit obergerrichtlicher oder zumindest "exotischer" Rechtsprechnung. Hinzu kommt, dass ein großteil der Klausuren aus der Perspektive des Richters geschrieben werden. Auch hier wird man wohl sagen müssen, dass der richterliche Alltag sich nicht ausschließlich mit Fragestellungen befasst, die im zweiten Examen abgefragt werden.
27.10.2022, 15:15
(27.10.2022, 10:30)Gast schrieb:(26.10.2022, 21:01)Egal schrieb: Noch zur Ergänzung: in meiner praktischen Tätigkeit als Rechtsanwaltin schreibe ich keine Aufsätze. Ich schreibe Mails, die zielorientiert ausgerichtet sind und für den Mandanten verständlich sein müssen. Ich schreibe keine juristisch hochtrabenden Texte, argumentiere für dieses oder jenes Argument o.ä. Ich sage dem Mandanten kurz und knackig, was er aus meiner Sicht tun sollte und warum.
Nicht selten passiert das sogar am Telefon.
Das juristische Blabla interessiert den Mandanten nicht. Er versteht es in der Regel nicht einmal, wenn ich ihm einen juristischen Aufsatz schreiben würde. Der Mandant will wissen, was er tun muss, wie hoch die Chancen und wie hoch das Haftungsrisiko ist. Mehr nicht.
Für diese kurze, knackige Mail oder das Telefonat reicht mir die durchdachte Lösungsskizze. Ich gehe im Kopf den Fall durch, mache mir Notizen und schaue auftretende Fragen noch einmal nach wenn ich mir unsicher bin. So funktioniert meine Arbeit als Anwältin.
Für den Richter ist die Lage tatsächlich noch eine andere. Der liegt näher an der Examenssituation mit seinem Urteil. Er schreibt aber auch für Juristen und nicht für juristische Laien. Ok, naja sagen wir mal so, zumindest werden die Urteile in der Regel von Juristen gelesen und dem Mandanten "übersetzt", denn die verstehen von einem Urteil in der Regel nur Bahnhof.
Auch der Richter wird jedoch keine 30 Seiten per Hand schreiben.
Das Handschriftliche ist natürlich etwas, dass sich ohnehin demnächst ändern wird. Bisher gab es aber das Problem, dass man nicht mal eben umstellen konnte: Handschriftlich schreiben muss jeder mit Abi zwingend gut beherrschen (Krankheiten/Behinderungen mal außen vor), zügiges Tippen am PC oder gar das 10-Finger-System war zu meiner Schulzeit (okay, mittlerweile auch über zehn Jahre her...) keine Fähigkeit die man beherrschen musste. Wenn ich keine Ahnung gehabt hätte wie man eine Tastatur bedient und zuhause meiner eigenen Privatsekretärin diktiert hätte wäre das wohl nicht aufgefallen. Auf Realschulen war das 10-Finger-System dagegen in meiner Region Teil des Lehrplans.
Ich denke, dass wir hier bald die Änderung hin zum Tippen sehen. Diktieren wäre auch ganz nett, aber eben für Prüfungen kaum umsetzbar ohne irgendwelche speziellen Räume mit Einzelkabinen einzuführen.
Juristisch hochtrabende Texte und/oder lehrbuchmäßige Schriftsätze wie im Examen schreibt man als Anwalt mit Kontakt zu Gerichten definitiv gelegentlich, jedenfalls wenn es um größere Verfahren mit schwierigen Fragestellungen - und Streitwerten, die diesen Aufwand rechtfertigen - geht. Ich habe schon Klagen geschrieben, die ich bewusst extrem lehrbuchmäßig und richterfreundlich aufgebaut habe, um auf die zu erwartende Flut an Nebelkerzen und sinnlosem Blabla der Gegenseite vorbereitet zu sein: Wenn der Richter 10 strukturierte Seiten Klage und 62 Seiten runterdiktiertes Gefasel als Klageerwiderung bekommt dürfte die Tendenz woraus er sein Urteil abschreibt jedenfalls nicht zu Lasten der eigenen Partei ausfallen. Das klappt auch umgekehrt auf Beklagtenseite. Richter sind auch nur Menschen und wenn man ihnen die Arbeit erleichtert hilft das oft deutlich.
Bei Mandantenschreiben ist natürlich klar, dass >95% keine rechtlichen Ausführungen erhalten, dieser Trend der Examina ist natürlich realitätsfern und den Prüfungsbedingungen geschuldet: Auf "Ja, machen Sie das so!" kann man eben nur 0 oder 18 Punkte geben.
Da hast du recht. Ich bin mittlerweile nur noch sehr selten vor Gericht, daher ist mir dieser Aspekt erst nach dem Verfassen meines Textes eingefallen.
Auch wenn der Sachverhalt nicht sehr kompliziert ist, rotze ich dem Richter keine Klage hin, sondern baue sie nach dem üblichen Schema auf.
Gegenüber Mandanten natürlich nicht.


