12.06.2024, 18:38
Liebes Forum,
Ich befinde mich gerade in einer kleinen Krise. Seit wenigen Jahren Richter und mit dem Beruf grundsätzlich sehr zufrieden (Arbeitsweise, Flexibiltät, Entscheidungsfreiheit).
Kürzlich habe ich einen Wechsel in eine andere Kammer vorgenommen und ertrinke in Arbeit; zugleich wird mir gesagt, wie schön übersichtlich mein Dezernat sei. Diese Situation mag der Auslöser meiner Krise sein.
Konkret ist mein Problem, dass mir gerade bewusst wird, dass mir der Richterberuf zwar grundsätzlich gefällt, ich aber bisher fast nichts gemacht habe, was mich auch inhaltlich interessiert hätte. So interessant das Rechtsgebiet in dem man ist grundsätzlich sein mag: in der Praxis überwiegen triviale Fragen, Massenverfahren und das kleinteilige Herausarbeiten was von dem 50seitigen Vorbringen überhaupt streitig ist und ob nicht ggf auf Bl. 3500 der Akte noch ergänzend vorgetragen wurde. In der Strafkammer geht es inhaltlich fast nie um Rechtsfragen, dafür um die Sichtung von 40 Aktenordnern mit Finanzermittlung oder Telekommunikation.
Sprich: Der Richterberuf ist zu gefühlt 80 Prozent Fleißarbeit, was mir einfach nicht liegt bzw wo ich wenig Motivation für aufbringe, das aber meistens unter - aufgrund der Arbeitslast - jdf faktischem Zeitdruck. Das war mir als ich mich für den Beruf entschieden habe, so nicht bewusst. Ich habe mittlerweile 2 verschiedene Kammern am LG und 2 verschiedene Abteilungen am AG „durch“ und letztlich ist mE überall ähnlich. Am AG sicher etwas weniger Fleißarbeit pro Akte, dafür inhaltlich häufig noch uninteressanter und durch die höhere Anzahl an Fällen läuft es auf dasselbe hinaus.
Ich habe schon mal mit einem Wechsel in die Anwaltschaft geliebäugelt, aber dadurch wird mein Problem ja auch nicht besser; dort muss man sich durch noch mehr unsortierte Dokumente kämpfen und Rechtsfragen stellen sich mutmaßlich genauso selten.
Welche Alternativen gibt es denn für mich überhaupt? Ich mache gerne Jura und bekomme auch stets das Feedback, das meine Kammerkollegen mit mir zufrieden sind. Ich würde mich gerne weiterhin mit Rechtsfragen befassen, aber nicht nur mit Tatsachen und auch gerne halbwegs frei arbeiten. Uni kommt nicht in Betracht, so vermessen zu glauben ich wäre intelligent genug für eine Professur bin ich nicht.
Gibt es solche juristischen Jobs überhaupt oder stelle ich nach der langen Ausbildung und Berufserfahrung fest, dass Jura in der Praxis entgegen jeder Fremdwahrnehmung eigentlich gar nichts für mich ist?
Über Feedback dazu freue ich mich sehr, auch über welches, was mich vll aus meinem momentanen mentalen Loch holen kann.
Ich befinde mich gerade in einer kleinen Krise. Seit wenigen Jahren Richter und mit dem Beruf grundsätzlich sehr zufrieden (Arbeitsweise, Flexibiltät, Entscheidungsfreiheit).
Kürzlich habe ich einen Wechsel in eine andere Kammer vorgenommen und ertrinke in Arbeit; zugleich wird mir gesagt, wie schön übersichtlich mein Dezernat sei. Diese Situation mag der Auslöser meiner Krise sein.
Konkret ist mein Problem, dass mir gerade bewusst wird, dass mir der Richterberuf zwar grundsätzlich gefällt, ich aber bisher fast nichts gemacht habe, was mich auch inhaltlich interessiert hätte. So interessant das Rechtsgebiet in dem man ist grundsätzlich sein mag: in der Praxis überwiegen triviale Fragen, Massenverfahren und das kleinteilige Herausarbeiten was von dem 50seitigen Vorbringen überhaupt streitig ist und ob nicht ggf auf Bl. 3500 der Akte noch ergänzend vorgetragen wurde. In der Strafkammer geht es inhaltlich fast nie um Rechtsfragen, dafür um die Sichtung von 40 Aktenordnern mit Finanzermittlung oder Telekommunikation.
Sprich: Der Richterberuf ist zu gefühlt 80 Prozent Fleißarbeit, was mir einfach nicht liegt bzw wo ich wenig Motivation für aufbringe, das aber meistens unter - aufgrund der Arbeitslast - jdf faktischem Zeitdruck. Das war mir als ich mich für den Beruf entschieden habe, so nicht bewusst. Ich habe mittlerweile 2 verschiedene Kammern am LG und 2 verschiedene Abteilungen am AG „durch“ und letztlich ist mE überall ähnlich. Am AG sicher etwas weniger Fleißarbeit pro Akte, dafür inhaltlich häufig noch uninteressanter und durch die höhere Anzahl an Fällen läuft es auf dasselbe hinaus.
Ich habe schon mal mit einem Wechsel in die Anwaltschaft geliebäugelt, aber dadurch wird mein Problem ja auch nicht besser; dort muss man sich durch noch mehr unsortierte Dokumente kämpfen und Rechtsfragen stellen sich mutmaßlich genauso selten.
Welche Alternativen gibt es denn für mich überhaupt? Ich mache gerne Jura und bekomme auch stets das Feedback, das meine Kammerkollegen mit mir zufrieden sind. Ich würde mich gerne weiterhin mit Rechtsfragen befassen, aber nicht nur mit Tatsachen und auch gerne halbwegs frei arbeiten. Uni kommt nicht in Betracht, so vermessen zu glauben ich wäre intelligent genug für eine Professur bin ich nicht.
Gibt es solche juristischen Jobs überhaupt oder stelle ich nach der langen Ausbildung und Berufserfahrung fest, dass Jura in der Praxis entgegen jeder Fremdwahrnehmung eigentlich gar nichts für mich ist?
Über Feedback dazu freue ich mich sehr, auch über welches, was mich vll aus meinem momentanen mentalen Loch holen kann.
Wer Richter auf Probe bzw. Staatsanwalt werden möchte, sollte sich mit dem Karriere-Dossier über die Einstellungschancen und Bewerbungsvoraussetzungen informieren. Das Karriere-Dossier ist als Print-Buch sowie als E-Book für alle 16 Bundesländer erhältlich:
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
Und zur Vorbereitung auf das alles entscheidende Vorstellungsgespräch sollte man auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben.
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
Und zur Vorbereitung auf das alles entscheidende Vorstellungsgespräch sollte man auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben.
12.06.2024, 20:01
Naheliegend wäre zunächst die Bewerbung auf eine zweijährige Abordnung in die Verwaltung, um mal wieder Orientierung zu finden. Da muss man nicht gleich den Bruch machen ;)
Ansonsten erschiene mir dann naheliegend, möglichst zum OLG zu streben.
Ansonsten erschiene mir dann naheliegend, möglichst zum OLG zu streben.
12.06.2024, 20:37
Der Vorteil in anderen Verwaltungen ist tatsächlich, dass man dort die Aktenauswertung dem gehobenen Dienst überlassen / das an diesen delegieren kann und man sich dann selbst um die interessanten Fragen kümmern kann. Weiß nicht ob das im JM ähnlich ist. Denke aber das der gD da weniger ausgeprägt ist als andernorts...
Ansonsten könnte ggf noch eine Abordnung als wissmit an ein Obergericht in Betracht kommen...
Ansonsten könnte ggf noch eine Abordnung als wissmit an ein Obergericht in Betracht kommen...
12.06.2024, 20:57
Du kriegst als Anwalt keine unsortierten Dokumente, das kann sich kein Mandant bei den heutigen Stundensätzen leisten und wenn doch, dann easy money.
12.06.2024, 22:10
Was Guga sagt. Außerdem kannst du als Anwalt den Sachverhalt häufig selbst gestalten. Und je nach Rechtsgebiet bist du auch kaum vor Gericht und musst dich dann nicht durch 50-seitige Schriftsätze kämpfen, in denen nur 2 Seiten relevant sind.
12.06.2024, 23:44
wie siehts mit Notar aus? Ansonsten, wie die Vorredner sagten, zb als RA in einem Gebiet, das dich interessiert, in einer Boutique? Auch Verwaltung in einem Gebiet, das dich interessiert, zb bei einer Bundesbehörde könnte attraktiv sein. Ist halt die Frage, was dich anspricht 🙂 - Jugendrichter?
13.06.2024, 08:54
Wechsel der Gerichtsbarkeit kommt nicht in Betracht?
13.06.2024, 09:37
Die Verwaltung könnte eine echte Alternative sein. Während meiner Station in einem Rechtsamt habe ich viele interessante Akten bearbeiten dürfen. Grundsätzlich sind beim Rechtsamt immer die Klagen gegen Bescheide gelandet und man musste dann sehr juristisch Arbeiten. Gibt aber bestimmt auch Tätigkeiten in der Verwaltung, die weniger interessant sind.
15.06.2024, 09:06
Sonst vielleicht das Verwaltungsgericht/ Arbeitsgericht anpeilen? Da ist die Arbeitsbelastung mE deutlich geringer.
15.06.2024, 14:09
(15.06.2024, 09:06)Brandenburg92 schrieb: Sonst vielleicht das Verwaltungsgericht/ Arbeitsgericht anpeilen? Da ist die Arbeitsbelastung mE deutlich geringer.Ich weiss, dass man schnell Gefahr läuft, seinen eigenen beruflichen Lebensweg zu idealisieren, aber rückblickend muss ich sagen, dass ich trotz aller Dinge, die mich an der Justiz stören und aus denen ich hier und auch ggü den häufig leider überangepassten Kollegen keinen Hehl mache, den Weg in die Verwaltungsgerichtsbarkeit insgesamt nicht bereue, und zwar genau aus den Gründen, die der TE hier schildert.
Am VG geht es viel weniger um die Klärung der tatsächliche Seite inklusive Beweiswürdigung als in der Ordentlichen Gerichtsbarkeit (wie zB im Strafrecht) und dafür stärker um die rechtliche Seite eines Sachverhalts.
Schon das Schreiben eines Tatbestandes kostet mich häufig schon Überwindung und ich versuche ihn möglichst kurz zu halten, denn ich will ja Jura machen und nicht vorwiegend Zusammenfassungen auf dem Niveau eines Deutschunterrichts der 6. Klasse schreiben…
Wenn ich mir die pedantischen, teils ausschweifenden und mit zig Blattzahlen versehenen Tatbestände von Kollegen durchlese, frage ich mich oft, was das soll. Das meiste steht doch schon im streitgegenständlichen Bescheid und ist den Beteiligten bekannt und völlig unstreitig. Ich arbeie da so weit wie möglich mit Bezugnahmen.
Deswegen freue ich mich zB auch immer über Eilbeschlüsse, PKH-Beschlüsse und Einstellungsbeschlüsse nach HE, weil ich da ohne Puddingmauer direkt ins Schlaraffenland der juristischen Subsumtion gelange ;-)
Um jetzt aber auch direkt wieder etwas Wasser in den Wein zu giessen:
Standardkonstellationen und Massenverfahren gibt es bei uns selbstverständlich auch. Juristisches Hochreck ist auch hier eher die Ausnahme als die Regel. zB Asylrecht gehört je nach „Schwierigkeit“ des Herkunftslandes zum juristischen Graubrot.
Warum sollte das aber irgendwo anders sein? Vermutlich jedem Berufsanfänger dämmert es nach einer ersten Phase der Anfangseuphorie, dass auch anspruchsvolle Berufe zu einem wesentlichen Teil aus Routine bestehen. Deswegen halte ich es auch für wichtig, nach ein paar Jahren mal die Kammer und das Rechtsgebiet zu wechseln, um nicht irgendwann völlig in Routine zu erstarren und die Motivation zu verlieren.