31.08.2020, 23:06
Danke für die interessanten Einblicke MV-Trine! Das erklärt viele der für Außenstehende ungewöhnlich niedrige Gehälter
31.08.2020, 23:44
Da stellt sich die Frage, warum man nicht aus MV wegzieht und sich woanders bewirbt.
01.09.2020, 08:11
dürfte meistens eine Mischung aus Idealismus, sozialem Umfeld und fehlenden Alternativen sein
01.09.2020, 10:17
(31.08.2020, 23:06)Gast schrieb: Danke für die interessanten Einblicke MV-Trine! Das erklärt viele der für Außenstehende ungewöhnlich niedrige Gehälter
Wobei zumindest das Mandantenverhalten nichts zwingend mit MV zu tun hat. Kollegin von mir macht Verkehrsrecht in NRW und die Storys hören sich ähnlich an. Niedrige Zahlungsmoral, Mandanten sind nicht einmal in der Lage eine zugeschickte Vollmacht zu unterschreiben (also wortwörtlich, sie bekommen ein Dokument mit der Bitte es zu unterschreiben und schaffen es auch nach mehrfachem Anlauf nicht, sondern schicken andere Unterlagen, Unterschreiben auf einem Blankoblatt usw.).
Was natürlich absolut stimmen wird, sind die niedrigen Umsätze in MV auf Grund von niedrigen Stundensätzen bzw. geringen Streitwerten. Gleichzeitig liegen die Immo-Preise über 50% unter etwa DUS und 70-80% unter HH, FFM oder MUC. Sprich, du brauchst (brutto) in diesen Städten 35.000 Euro mehr Gehalt für eine vergleichbare Wohnung. Wobei - natürlich - die Lebensqualität eine andere ist. Wer aber sowieso ein Landei ist, kann sich die 120 qm Wohnung in MV mit einem Gehalt leisten, von dem man sich in MUC oder FFM wahrscheinlich nur eine Garage mieten könnte.
03.09.2020, 18:38
(31.08.2020, 21:46)MV-Trine schrieb: Zur Situation in MV kann ich aus eigener (Anwältin für drei Jahre in FWW-Kanzlei in einer Kleinstadt im westlichen Teil MVs) und viel Erfahrung aus dem Kollegium folgendes berichten:
Die meisten Kanzleien in MV sind entweder Einzelkämpfer oder kleine Kanzleien mit bis zu vier Anwälten, dort ist also ohnehin weniger zu holen als bei größeren Sozeitäten im Westen.
Aufgrund des niedrigen Lohnniveaus in MV gibt es vergleichsweise wenige Mandanten, die in der Lage sind, hohe Stundensätze zu bezahlen. Viele Mandanten benötigen Beratungshilfe, sodass die teilweise sehr umfangreichen Verfahren nicht im Ansatz wirtschaftlich bearbeitet werden können. Mit etwas Glück sind die Mandanten rechtsschutzversichert oder man gerät an einige der wenigen wohlhabenderen Mandanten (Ärzte, Angestellte im öff. Dienst z. B.).
Im Strafrecht besteht außerdem das Problem, dass die typische Klientel leider, man muss es so sagen, aus Arbeitslosen oder ebenfalls aus sehr finanzschwachen Menschen besteht, die meistens auch einfach ihr Leben nicht im Griff haben. Diese können die Kosten für eine Strafverteidigung auch nach RVG schlicht nicht aufbringen. Einen Vorschuss zu nehmen, kannst du da i. d. R. vergessen. Viele vertrösten dich darauf, dass sie später Geld bekommen (von Bekannten, Eltern, Großeltern oder "von einem Kumpel") und es dir dann geben, aber darauf kann man sich nicht verlassen, meistens wird man belogen. Du hast also als Anwalt oftmals die Wahl, ob du das Mandat nicht annimmst, dir dann keine Arbeit machst, aber eben auch garantiert nichts bekommst, oder ob du das Mandat annimmst und ggf. von deinem Mandanten geprellt wirst. Pfänden kannst du da ohnehin nichts. Zu Anfang freut man sich vielleicht noch über die Erfahrung, die man sammelt, nach dem fünften Mal fühlt man sich aber einfach nur noch ausgenutzt.
Zusätzlich zu der schlechten Zahlungsmoral hatten meine Mandanten in allen Rechtsgebieten zu 90% ihre Unterlagen nicht vernünftig sortiert oder auch nur vollständig abgegeben. Ich habe also sehr viel Zeit damit verbracht, den Mandanten hinterherzulaufen, Unterlagen zu erbitten, ihre Sachen zu heften, zu tackern, zu lochen und zu sortieren. Da sie meistens nicht selbt die Kosten für die Beratung aufbringen mussten bzw. nur Pauschalen nach RVG zu zahlen haben, war ihnen der Zeitaufwand, den ich hatte, völlig egal. Wenn du eine 200-seitige Beratungshilfesache bearbeitest und dafür 85 € erhältst, weißt du, was Frust ist. Eine Abrechnung nach Stunden erzieht üblicherweise ja auch die Mandanten dazu, sich kurz zu fassen und die Sachen gut vorzusortieren. Sonst rechnet man halt einfach 200 € pro Stunde für's Heften ab. Das kannst du aber in MV vergessen. Ach ja, habe ich schon erwähnt, dass viele Mandanten dich mit unverständlichen Nachrichten geradezu bombardieren? Die Rechtschreibung und Zeichensetzung macht es unmöglich, zu verstehen, was sie wollen.
Halbwegs Geld (über 2.500,- €) kann man daher meistens nur dann verdienen, wenn man unverhältnismäßig viel arbeitet, um dadurch so viele Billigmandate wie möglich abzuarbeiten.
Wegen dieser Situation zahlen eben auch viele Kanzleien sogut wie nichts an junge Bewerber. Dass die Anwälte also so schlechte Gehälter zahlen, liegt daran, dass sie es ebenfalls nicht können. Ein Freund von mir wurde von seinem potenziellen Arbeitgeber aufgefordert, H4 und einen Gründerzuschuss zu beantragen, um sein eigenes Gehalt zu decken, eine andere wurde zum Mindestlohn eingestellt mit Gewinnbeteiligung. Meistens läuft es über sehr geringe Grundgehälter und dann über eine kleine Gewinnbeteiligung. Gut gehende Kanzleien sind meistens diejenigen, deren Inhaber kurz nach der Wende gekommen sind und sich einen guten Ruf und einen halbwegs finanzstarken Mandantenstamm aufgebaut haben.
Die wirtschaftliche Not bei vielen Anwälten ist wohl so groß, dass sie sich Fachliteratur bestellen, diese dann in der Nacht einscannen und dann von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen. Ein Kollege hat sogar die Schriftsätze an die Mandanten selbst bei ihnen eingeworfen, damit er sich die Briefmarken spart.
Ich bin mittlerweile bei einem Landkreis mit einer E10-Vergütung gelandet und verdiene dort jetzt weitaus mehr als in der Kanzlei, habe bessere Arbeitszeiten und muss mir diese Mandanten nicht mehr antun.
Auf MV rollt allerdings eine Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst und in der Anwaltschaft zu. Der Kuchen wird also bald neu verteilt. Zur Zeit kann ich mir nur vorstellen, dass man in gut laufenden Sozietäten mit überregionalem Bezug und mehreren Anwälten etwas findet. Die dürfte es aber wohl nur in Rostock oder Schwerin geben.
Wer in MV als Jurist arbeiten will, sollte in den öffentlichen Dienst gehen.
Danke für den interessanten Einblick!
03.09.2020, 19:10
Ich haue mal mein Gehalt raus:
Noten: 7,5 und 6,6
Beruf: Anwaltschaft
Rechtsgebiet: Zivilrecht, Arbeitsrecht, IT/IP und Gewerbliche Mandanten
Kanzleigrösse: 6 Partner (mit Notariat) und 3 Angestellte Anwält*innen
Stadtgrösse: ca. 81.000 Einwohner
Arbeitszeit: 3 Tage - Woche (25 Std), um 17:30h kann ich den Stift meistens fallen lassen (kurz vor 9 fange ich meistens an)
Gehalt: 2560,00€ brutto (Beiträge, Versicherung, Fortbildung, FA - Kurs zahlt die Kanzlei)
Noten: 7,5 und 6,6
Beruf: Anwaltschaft
Rechtsgebiet: Zivilrecht, Arbeitsrecht, IT/IP und Gewerbliche Mandanten
Kanzleigrösse: 6 Partner (mit Notariat) und 3 Angestellte Anwält*innen
Stadtgrösse: ca. 81.000 Einwohner
Arbeitszeit: 3 Tage - Woche (25 Std), um 17:30h kann ich den Stift meistens fallen lassen (kurz vor 9 fange ich meistens an)
Gehalt: 2560,00€ brutto (Beiträge, Versicherung, Fortbildung, FA - Kurs zahlt die Kanzlei)
03.09.2020, 19:11
(03.09.2020, 19:10)Gast schrieb: Ich haue mal mein Gehalt raus:Bundesland: NRW übrigens
Noten: 7,5 und 6,6
Beruf: Anwaltschaft
Rechtsgebiet: Zivilrecht, Arbeitsrecht, IT/IP und Gewerbliche Mandanten
Kanzleigrösse: 6 Partner (mit Notariat) und 3 Angestellte Anwält*innen
Stadtgrösse: ca. 81.000 Einwohner
Arbeitszeit: 3 Tage - Woche (25 Std), um 17:30h kann ich den Stift meistens fallen lassen (kurz vor 9 fange ich meistens an)
Gehalt: 2560,00€ brutto (Beiträge, Versicherung, Fortbildung, FA - Kurs zahlt die Kanzlei)
03.09.2020, 20:05
Zum Glück hab ich ein zweites Mal hingeguckt und dann die 3-Tage-Woche entdeckt.
Sonst wäre das wirklich mies.
Sonst wäre das wirklich mies.
03.09.2020, 23:28
Ich fange demnächst mit A13 in ner Behörde an. Verheiratet+3 kinder für familienzuschss bei steuerklasse 3. Um das netto zu verdienen was ich mit a13 verdienen werde müsste ich in der wirtschaft ca 80k verdienen. Also einfach ne große Familie gründen, dann lohnt sich der Staatsdienst auch?
03.09.2020, 23:44
(03.09.2020, 23:28)Gast schrieb: Ich fange demnächst mit A13 in ner Behörde an. Verheiratet+3 kinder für familienzuschss bei steuerklasse 3. Um das netto zu verdienen was ich mit a13 verdienen werde müsste ich in der wirtschaft ca 80k verdienen. Also einfach ne große Familie gründen, dann lohnt sich der Staatsdienst auch?
Hä? Die 3 Kinder musst du auch erstmal unterhalten.